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Zitiervorschlag

Das Tragen in Kindertageseinrichtungen: Notwendigkeit, Einordnung und Perspektiven eines vielschichtigen Themas

Kira Daldrop und Clara Jauch

 

„Ein Baby will getragen sein“ konstatiert die Verhaltensbiologin Dr. rer. nat. Evelin Kirkilionis in ihrem gleichnamigen Buch und beschreibt damit in einem Satz eine der typischen Verhaltensweisen von Kindern. Getragen werden und Tragen: das gehört zum Zusammenleben mit kleinen Kindern dazu. Auch aus dem Alltag von pädagogischen Fachkräften in Krippe und Kindertagespflege ist das Tragen von Kindern nicht wegzudenken (vgl. von Langen, 2013, S. 109). Die Frage, ob Kinder getragen werden, steht also nicht zur Debatte. Vielmehr ist es wichtig, danach zu fragen, wie pädagogische Fachkräfte die Kinder im pädagogischen Alltag tragen. Tragen vereint vielfältige Aspekte: von der Entlastung und Gesunderhaltung der pädagogischen Fachkräfte bis hin zu einer engen Zusammenarbeit mit Familien und einer auf das Kind abgestimmten Gestaltung des pädagogischen Alltags.  

Im weiteren Verlauf werden nun die Effekte des Einsatzes von Tragehilfen im pädagogischen Alltag dargestellt. Dabei werden die Perspektiven unterschiedlicher AkteurInnen beleuchtet.  

Pädagogischer Alltag mit kleinen Kindern: Hochnehmen und Tragen 

Zunächst lässt sich festhalten, dass das Hochnehmen und Tragen der Kinder auf dem Arm die gängigste Praxis ist. Von einer flächendeckenden Nutzung von Tragehilfen oder Tragetüchern in pädagogischen Einrichtungen kann nicht ausgegangen werden. Vorbehalte gegenüber dem Tragen in einer Tragehilfe gibt es hingegen durchaus. Die Gründe dafür sind vielfältig: Bedenken gegenüber der Handhabung, eine vermeintliche Unfallgefahr und Verbote seitens weisungsberechtigter Stellen und nicht zuletzt auch eine Sorge, Kinder durch das Tragen an etwas zu gewöhnen, was nicht gleichermaßen für alle jederzeit umgesetzt werden kann. Demgegenüber steht allerdings das große Potenzial des Tragens in einer Tragehilfe oder einem Tragetuch für Kinder und pädagogische Fachkräfte im pädagogischen Alltag. In dieser Interaktion zwischen einem Erwachsenen und einem Kind steckt so viel mehr als auf den ersten Blick ersichtlich.

Um die Vorteile sichtbar zu machen, kann zunächst einmal zwischen einem zweckmäßigen Hochheben des Kindes und einem bewusst eingesetzten, beziehungsrelevantem Tragen als eine Handlungsstrategie und ein abgestimmtes Interaktionsangebot unterschieden werden. Getragen werden und Tragen bedeutet nicht nur das Kind zu transportieren, es ist immer auch Kommunikation, eine Begegnung, ein Austausch und Ausdruck von Beziehung, sowie eine Beantwortung eines dahinterliegenden Bedürfnisses. Tragen vermittelt Sicherheit und Nähe zu einer Bezugsperson, es ist eine enge Form des Körperkontakts und wirkt sich durch seine ko-regulative Wirkung direkt auf das Wohlbefinden des Kindes auf.

Der bewusste Einsatz von Tragehilfen im pädagogischen Alltag – von der Be- zur Entlastung 

Der Einsatz von passenden Tragehilfen im pädagogischen Alltag kann in ausgewählten Situationen Entlastung für die pädagogischen Fachkräfte schaffen. Damit diese aber auch mit den Tragehilfen gesund und nachhaltig tragen und ihre Rückengesundheit fördern, ist es nicht damit getan, willkürlich Tragehilfen für die Einrichtung anzuschaffen und die pädagogischen Fachkräfte damit allein zu lassen. Das führt unter Umständen dazu, dass das Team die Tragehilfe unbequem oder unpraktisch in der Handhabung findet und sich die Anschaffung als nicht alltagstauglich herausstellt. Wenn eine pädagogische Fachkraft gut mit einem bestimmten Modell zurechtkommt, bedeutet das nicht, dass dieses für das ganze Team geeignet ist. Zumal beim Tragen immer zwei Personen beteiligt sind – ein Kind und eine pädagogische Fachkraft.

Ein Kriterium für eine gute Tragehilfe ist, dass sie sich an beide Beteiligten anpassen lässt. Ein höhenverstellbares Rückenteil und ein verstellbarer Steg, das ist der Stoff, der zwischen den Kniekehlen des Kindes verläuft, sorgen dafür, dass der Komfort und die Sicherheit für das Kind gewährleistet ist. Für die pädagogischen Fachkräfte sorgen Bauch- und Schultergurte, die individuell eingestellt werden können, für optimale Gewichtsverteilung und ein angenehmes Tragegefühl. Ebenfalls wichtig zu bedenken sind die unterschiedlichen Tragemöglichkeiten: So kann ein Kind von einer erwachsenen Person vor dem Bauch, auf der Hüfte und auf dem Rücken in einer Tragehilfe und einem Tragetuch getragen werden. Auf dem Markt gibt es verschiedene Systeme mit unterschiedlichen Funktionen. Entscheidet sich eine Einrichtung für das Tragen mit Tragehilfen oder Tragetüchern sind an den weiteren Schritten der Umsetzung viele AkteurInnen beteiligt.

Der Träger und sein Auftrag

Als Arbeitgeber ist der Träger laut Arbeitsschutzgesetz dazu “verpflichtet, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz seiner Beschäftigten während der Arbeit zu sichern und zu verbessern, indem die aktuellen arbeitsbedingten Gefährdungen der Beschäftigten beurteilt, daraus angemessene Maßnahmen zu ihrer Vermeidung abgeleitet und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden müssen” (Thinschmidt, Gruhne & Hoesl, 2008, S. 11). 

Unter § 4 des Arbeitsschutzgesetzes ist festgelegt, dass der Arbeitgeber grundsätzlich dafür Sorge tragen muss, das Arbeitsumfeld der Beschäftigten so zu gestalten, dass „eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird“ (ArbSchG, § 4, Abs. 1). Zum Tragen von schweren Lasten finden sich weitere Vorgaben in der Lastenhandhabungsverordnung. Die Verordnung bezieht sich auf die manuelle Handhabung von Lasten, die aufgrund ihrer Beschaffenheit ein Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten darstellen. Unter manueller Handhabung wird das „Befördern oder Abstützen einer Last durch menschliche Kraft“ (LastenhandhabV, § 1, Abs. 2) verstanden. Im pädagogischen Alltag einer Kita schließt das auch das Tragen von Kindern ein.  Die Lastenhandhabungsverordnung verpflichtet den Arbeitgeber dazu, geeignete Hilfsmittel und Ausrüstung zur Verfügung zu stellen, um die Gesundheitsgefährdung der Beschäftigten zu minimieren (vgl. LastenhandhabV, § 2). Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege empfiehlt Tragesysteme als Hilfsmittel, um Kinder ergonomisch zu tragen und die Belastung des Muskel-Skelett-Systems von pädagogischen Fachkräften zu verringern (vgl. BGW, 2023, S. 18). Eine gut sitzende Tragehilfe sorgt für eine optimale Gewichtsverteilung des Kindes, sodass die pädagogische Fachkraft beim Tragen des Kindes keine ungesunde Ausgleichshaltung einnehmen muss.  

Der Einsatz von Tragesystemen im pädagogischen Alltag hat eine unmittelbare, positive Auswirkung auf die Rückengesundheit von pädagogischen Fachkräften. Es sollte also im Sinne des Trägers sein, jeder Kita die finanziellen Mittel zur Anschaffung von Tragehilfen zur Verfügung zu stellen. Damit kommt er nicht zuletzt seiner Pflicht nach, für eine gesunde Arbeitsumgebung und die Bereitstellung entsprechender Hilfsmittel Sorge zu tragen. 

Die Aufgaben der Leitung und die Umsetzung in der Konzeption

Die Konzeption einer Kindertageseinrichtung fungiert als Aushängeschild der Institution. Sie bildet für Mitarbeitende, Eltern und Interessierte die fachlich fundierte und reflektierte pädagogische Arbeit der Kita ab (vgl. Dreyer, 2017, S. 55). Häufig geben Träger nur Anhaltspunkte vor und überlassen die konkrete Ausformulierung der Leitung. In einem kommunikativen Prozess, an dem auch die pädagogischen Fachkräfte und Eltern beteiligt werden, entsteht die Konzeption der Einrichtung (vgl. Weber, 2020, S. 14 ff.).  

In Konzeptionen werden typischerweise Handlungskonzepte dargestellt, an denen sich die pädagogischen Fachkräfte der Einrichtung in ihrer Arbeit orientieren. Zu den vielfältigen Alltagshandlungen und Pflegeaktivitäten (z.B. Essen, Schlafen oder Wickeln) finden sich optimalerweise Erklärungen, nach welchen Standards diese ablaufen sollten. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass das wünschenswerte Handling in diesen Pflegeaktivitäten häufig „im Kontext eines reinen Laienwissens weitergegeben“ (Gutknecht, Stehmeier & Daldrop, 2021, S. 13) wird. Das Tragen in einer Tragehilfe oder einem Tragetuch als bewusste und abgestimmte Interaktionsstrategie, als exklusive Beziehungszeit zwischen Kind und pädagogischer Fachkraft und mit den verschiedenen Interaktionsebenen wie dem Handling, also den Berührungs- und Bewegungsinteraktionen, der Ko-Regulation aber auch der sprachlichen Interaktion, findet bisher kaum Beachtung in der Forschung und damit auch selten in der Praxis. Eine Verankerung des Tragens von Kindern in der Konzeption ist allerdings sinnvoll, um die Tragepraxis der Einrichtung sichtbar zu machen. Das schafft sowohl bei den pädagogischen Fachkräften als auch bei den Eltern ein Bewusstsein für die Relevanz dieser Aktivität. Dem Tragen kommt somit die gleiche Aufmerksamkeit zu, wie anderen beziehungsrelevanten Alltagsaktivitäten wie dem Schlafen, Essen oder Wickeln. Zudem wird so sichergestellt, dass die pädagogischen Fachkräfte eine gemeinsame Handlungsgrundlage erarbeitet haben. Damit steht fest, dass eine bewusste und reflektierte Auseinandersetzung mit dem Thema stattgefunden hat und dass Wissen und Kompetenzen in diesem Bereich vorhanden sind.  

In den Aufgabenbereich der Leitung fällt in diesem Zusammenhang auch, den Versicherungsschutz hinsichtlich des Tragens von Kindern mit Tragehilfen zu überprüfen. Die Leitung sollte die Notwendigkeit des Tragens mit Tragehilfen der Versicherung gegenüber fachlich begründen können. Gegebenenfalls müssen auch die Betreuungsverträge angepasst werden, sodass die Eltern direkt bei der Anmeldung ihres Kindes über die Tragepraxis in der Einrichtung informiert werden und eine Entscheidung für diese Kindertageseinrichtungen einhergeht mit dem Einverständnis, dass die Kinder getragen werden.

Zusammenarbeit mit TrageberaterInnen

 

TrageberaterInnen sind ausgebildete ExpertInnen im Bereich des Tragens und beraten mit einem umfangreichen Sortiment unterschiedlicher Tragehilfen und Tücher zu allen Fragen des ergonomisch korrekten Tragens sowie alle damit einhergehenden Fragen.

 

Eine Beratung einer Fachperson ist auch für Kita-Teams und Träger sinnvoll!

 

TrageberaterInnen mit Schwerpunkt Beratung in Kitas und Kindertagespflege

 

Das InFanT Institut für Familien- und Trageberatung bietet unter der Leitung von Kira Daldrop eine Fachweiterbildung für TrageberaterInnen an, um sich für den Bereich “Trageberatung in KiTas und Kindertagespflege” weiterzubilden. Die TrageberaterInnen mit einer solchen fachspezifischen Weiterbildung kennen die besonderen Belange von pädagogischen Fachkräften, die spezifischen Anforderungen an Tragemöglichkeiten und haben neben einem entsprechenden Sortiment auch die methodischen Kompetenzen, Angebote individuelle für Einrichtungen zu konzipieren.

 

Eine Liste mit FachtrageberaterInnen für KiTas und Kindertagespflege finden sich unter folgenden Link: https://infant-institut.de/Fachbereich-Kita/Liste-Fachberaterinnen-Kita/

 

Weitere Informationen zur Arbeit des Instituts: https://infant-institut.de

Die pädagogischen Fachkräfte im Team einer Einrichtung

Die Arbeitsbelastung pädagogischer Fachkräfte ist hoch. Insbesondere die Studienlagen zur körperlichen Belastung (vgl. Nürnberg, 2018, S. 15) und zum aktuellen Stand der Verfügbarkeit von pädagogischen Fachkräften, und damit der Gewährleistung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz und die Umsetzung der Qualität in der pädagogischen Arbeit (vgl. Bertelsmann Stiftung, 2022. o. S.), untermauert die Relevanz des Themas „Tragen in Kitas“. Tragen als Realität im pädagogischen Alltag ist ein Belastungsfaktor mit großen Auswirkungen. Körpernahes Tragen von Kindern in einer Tragehilfe oder einem Tuch sowie das Tragen der Kinder auf dem Rücken hingegen ist als eine Entlastung einzustufen und dadurch eine noch nicht genutzte Ressource in Bezug auf die Gesundheit der pädagogischen Fachkräfte. Zunächst sollte die Frage beantworten werden, warum pädagogische Fachkräfte die Kinder nicht weiterhin auf dem Arm tragen sollten, so wie es überwiegend umgesetzt wird. Das Arbeitsumfeld Krippe ist eines der „rückenschädlichsten Arbeitsfelder überhaupt“ (von Langen, 2013, S. 109). In der ErgoKita-Studie (2015) gaben 75 % der befragten pädagogischen Fachkräfte an, an Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems zu leiden. Über die Hälfte der Beschwerden liegen im Bereich des Rückens und äußern sich durch Verspannungen, akute und chronische Schmerzen und Bandscheibenvorfälle (vgl. Rudow, 2017, S. 61 & 274 f.). Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems den häufigsten Grund für Arbeitsunfähigkeitsmeldungen von pädagogischen Fachkräften darstellen (vgl. Rudow, 2017, S. 61). Die Belastung des Muskel-Skelett-Systems lässt sich neben dem Tragen von anderen Lasten auch auf das Tragen von Kindern ohne Hilfsmittel zurückführen. Das Tragen von Kindern kommt im pädagogischen Alltag regelmäßig vor und ist mit Kraftaufwand verbunden (vgl. BGW, 2023, S. 18). Die Beschwerden entstehen zum Beispiel durch falsche Körperhaltungen, einseitige Belastungen oder fehlende Tätigkeits- und Belastungswechsel (vgl. Rudow, 2017, S. 61, S. 275). Durch das einseitige Tragen, bei dem das Kind auf der Hüfte der pädagogischen Fachkraft sitzt und mit dem Arm derselben Körperseite gehalten wird, nimmt diese eine Ausgleichshaltung ein. Die Hüfte, auf der das Kind sitzt, wird weiter zur Seite geschoben bzw. abgeknickt, um mehr Auflagefläche zu schaffen, den Sitz des Kindes zu verbessern und das Gewicht besser tragen zu können. Wird immer auf der gleichen Seite getragen, entsteht zudem ein Ungleichgewicht der Belastung.

Bevor das Tragen von Kindern systematisch als bewusst eingesetzte Strategie im pädagogischen Alltag implementiert wird, sollte eine ausführliche Reflexion im Team stattfinden, was den konkreten Einsatz von Tragehilfen betrifft. Unter pädagogischen Fachkräften gehen die Meinungen zu Tragehilfen oft auseinander. Die Erfahrungen, die sie mit Tragehilfen im privaten oder beruflichen Kontext gemacht haben, können ganz unterschiedliche sein. Manche sind vielleicht auch noch nie mit Tragehilfen in Kontakt gekommen. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass das Tragen im privaten Umfeld nicht mit dem Tragen in institutionellen Kontext gleichzusetzen ist. Beim Tragen mit Tragehilfen in der Kita handelt es sich um einen professionellen Kontext, in dem der Einsatz fachlich fundiert und reflektiert geschehen muss. Um eine gemeinsame Handlungsgrundlage zu schaffen, müssen die unterschiedlichen Stimmen aus dem Team unbedingt gehört werden. Deshalb ist es wichtig, dass ein Austausch über die Nutzung von Tragehilfen im Kita-Alltag stattfindet. Sollte es Bedenken von Seiten der pädagogischen Fachkräfte geben, sollten auch diese Stimmen bedacht werden. In manchen Fällen verbirgt sich hinter einer Ablehnung eine nicht realistische Vorstellung von Tragehilfen, in der Vergangenheit gemachte negative Erfahrungen mit der Handhabung oder die Angst vor dem Verwöhnen der Kinder. Sind die Gründe für die Ablehnung bekannt, kann ein fachlicher Austausch stattfinden.

Die für das Team entscheidende Frage ist, „Wie wollen wir mit dem Tragen von Kindern in der Einrichtung umgehen?“  

  • Warum wird der Einsatz von Tragehilfen in Erwägung gezogen? Was ist die Motivation dahinter? Was erhofft sich das Team davon?
  • Welche Einstellungen/Meinungen gegenüber Tragehilfen sind im Team vertreten?
  • Wann werden Kinder im pädagogischen Alltag getragen? In welcher Situation? Aus welchem Grund?
  • In welchen Alltagssituationen kann das Tragen mit Tragehilfen Entlastung schaffen?
  • In welchen Alltagssituationen kann das Tragen mit Tragehilfen eine zusätzliche Belastung darstellen?
  • Wann sind Tragehilfen nicht sinnvoll und warum?
  • Wie wird die Zusammenarbeit mit Eltern gestaltet?
  • Wie wird mit Widerstand umgegangen?
  • Was gibt es hinsichtlich Träger, Konzeption und Vertrag zu beachten?
  • Welche Faktoren müssen beim Einsatz von Tragehilfen bedacht werden? (Gesundheit, körperliche Belastung, persönliche Grenzen, Vorschriften, usw.)

Tragen aus Sicht des Kindes: Körperkontakt als Grundlage für eine gesunde Entwicklung, für das in Beziehung sein und für Lernen

Kinder lassen sich durch das Tragen beruhigen, weil dadurch die Befriedigung von Grundbedürfnissen sichergestellt wird (vgl. Posth, 2014, S. 96). Das Bedürfnis nach Bindung ist das wichtigste psychische Grundbedürfnis und beinhaltet unter anderem die Komponenten Sicherheit, Schutz, Nähe, Körperkontakt und Trost (vgl. Wedewardt & Hohmann, 2021, S. 19). Durch die körperliche Nähe zu seiner Bezugsperson, wird das elementaren Bedürfnis des Kindes nach Bindung befriedigt. In diesem Zusammenhang soll auch thematisiert werden, dass es im pädagogischen Kontext kein zu viel an Nähe gibt, wenn der Wunsch nach Nähe vom Kind ausgeht und von der pädagogischen Fachkraft beantwortet werden kann. Je jünger Kinder sind, desto mehr sind sie auf eine prompte und passgenaue Beantwortung ihrer Signale durch eine erwachsene Bezugsperson angewiesen (Papousek 2010).

Positive Effekte des Tragens auf die Kinder  

  • Kinder profitieren von einem engen Körperkontakt, denn es wirkt sich nachweislich auf das Stresserleben und damit auf das Wohlbefinden (Jansen & Streit 2015), sowie auf die kognitive und sensomotorische Entwicklung aus (Kirkilionis 2013). Auch das Grundbedürfnis nach Sicherheit und soziale Zuwendung kann durch das Tragen der Kinder erfüllt werden (Ahnert, 2004). 
  • Bei der Betrachtung der Studienlage zeigt sich, dass getragene Babys 43% weniger weinen (Hunziker & Barr, 1986). Auch die positiven Effekte von Körperkontakt und die damit verbundene Ausschüttung des Hormons Oxytocin rückt in den Fokus der Wissenschaft (Jansen & Streit, 2015). Oxytocin wird auch als das „Bindungshormon“ beschrieben, welches einen Einfluss auf den Cortisol-Spiegel hat. Cortisol ist ein primäres Stresshormon.
  • Der positive Einfluss des Körperkontaktes, der durch das nahe Tragen ermöglicht wird, ist damit zu erklären, dass Menschenkinder zur Gattung der Traglinge gehören (Hassenstein, 2001). Aus evolutionsbiologischer Perspektive entspricht getragen werden ihrem natürlichen Verhalten, denn dadurch sichert das Kind sein Überleben. Es ist sicher und weiß unmittelbar um die Zuwendung seiner nächsten Bezugspersonen, wenn es nah am Körper getragen wird. Getragen werden als Verhaltensweise bis weit in die Kindheit hinein zu beobachten.  
  • Tragen und die damit verbundene Bewegung, wirken sich positiv auf die Emotions- und Verhaltensregulation des Kindes aus: Bereits bei Säuglingen ist Tragen, Wiegen und Herumgehen eine wirksame Methode der Beruhigung (vgl. Largo, 2007, S. 263). Die Anregung des Gleichgewichtssinns sorgt für eine Ausschüttung von Botenstoffen im kindlichen Gehirn, die sich positiv auf das emotionale Befinden auswirken (vgl. Posth, 2014, S. 98). Der Körperkontakt mit einer Person, die einen entspannten Muskeltonus hat, kann dich auf das Kind übertragen und ihm dabei helfen, seine eigene Spannung zu regulieren (vgl. Nutz, 2014, S. 15).

Eltern 

Bei Eltern kann das Tragen mit einer Tragehilfe oder einem Tragetuch unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Erfahrungen, die sie selbst oder Bekannte gemacht haben, prägen ihre Einstellung gegenüber dem Tragen. Deshalb ist es im pädagogischen Kontext von besonderer Bedeutung, den bewussten Einsatz des Tragens transparent zu gestalten.  

Eltern haben das Recht, über die pädagogischen Abläufe im Alltag informiert zu werden. Je mehr die Eltern einbezogen und ernst genommen werden, desto mehr bringen sie den pädagogischen Fachkräften Offenheit und Vertrauen entgegen (vgl. Schlösser, 2018, S. 14).  Durch eine Verankerung des Tragens in der Konzeption sind die Eltern schon im Vorfeld über den Einsatz von Tragehilfen informiert. Sie können, noch bevor sie ihr Kind in der Einrichtung anmelden, nachlesen, wie das Tragen mit Tragehilfen gehandhabt wird und die Gründe für den Einsatz von Tragehilfen erfahren. „Als ein Bildungs- und Lernangebot für Eltern“ (Bostelmann & Engelbrecht, 2016, S. 20) eignet sich auch ein Elternabend dafür, um die Eltern mit dem Thema Tragen vertraut zu machen. Hierfür empfiehlt es sich, mit zertifizierten (Fach-)TrageberaterInnen zusammenzuarbeiten. Sind Eltern über den fachlich begründeten und reflektierten Einsatz von Tragehilfen in der Kita informiert, so kann mit geringerem Widerstand gerechnet werden. Sollte es dennoch Bedenken von Seiten der Eltern geben, kann ein Gespräch mit der Leitung sinnvoll sein. Die Eltern können ihre Gründe für die Ablehnung des Tragens äußern und es kann gemeinsam eine Lösung gefunden werden.   

Letztendlich sollte für die Eltern verständlich dargelegt werden, dass das Tragen von Kindern im pädagogischen Alltag als eine Grundlage der Arbeit zu sehen ist (vgl. von Langen, 2013, S. 109). Es dient der Befriedigung eines Grundbedürfnisses – genau wie andere Aktivitäten rund um die Grundbedürfnisse wie Wickeln, Essen oder Schlafen auch. Dieses während der Betreuungszeit in der Kita angemessen beantwortet zu wissen, sollte im Sinne aller Eltern sein. Das unergonomische Tragen, vor allem auf der Hüfte, birgt zudem nicht nur Risiken für die pädagogischen Fachkräfte: Auch Kinder befinden sich oft in einer asymmetrischen Haltung wobei ein Bein durch den Arm der pädagogischen Fachkraft gestützt ist und das andere nicht. Der Einsatz von Tragehilfen im pädagogischen Alltag minimiert die Belastung des Muskel-Skelett-Systems der pädagogischen Fachkräfte (vgl. BGW, 2023, S. 38) und gibt dem Kind die Möglichkeit, bequem getragen zu werden.

Ausblick 

Die Forschung zum Tragen von Kindern in der Kita steckt noch in den Kinderschuhen. Es braucht nun vor allem Kitas, die das Tragen mit Tragehilfen in ihren pädagogischen Alltag integrieren und praktische Erfahrungen sammeln. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen sollte ein aktiver Austausch angeregt werden. Es sollte eine kritische Auseinandersetzung mit dem Tragen in Tragehilfen stattfinden, in der die Möglichkeiten und Grenzen im pädagogischen Alltag diskutiert werden.  

Neben den praktischen Aspekten braucht es aber auch mehr Forschung zu dieser Thematik. Aktuell fehlen zu vielen Aspekten des Tragens im pädagogischen Kontext empirisch belastbare Daten. Besonders vor dem Hintergrund der Entlastung pädagogischer Fachkräfte ist es wichtig, dass das ergonomische Tragen mit Tragehilfen in Zukunft mehr Beachtung findet und auch konsequent als gesundheitsfördernde Maßnahme in den Alltag integriert wird.  Eine Beleuchtung des Themas Tragen im pädagogischen Alltag und eine fachliche Auseinandersetzung ist dringend erforderlich, denn die Nutzung von Tragehilfen und Tragetüchern kann für die pädagogische Arbeit eine Bereicherung darstellen und als eine Unterstützung und Entlastung im Alltag fungieren.

Literaturverzeichnis 

Ahnert, L. (2004). Bindungsbeziehungen außerhalb der Familie: Tagesbetreuung und Erzieherinnen-Kind-Bindung. In: Dies. (Hrsg.), Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung (S. 256-277). München: Reinhardt.

Arbeitsschutzgesetz. (1996). Verfügbar unter: URL: https://www.gesetze-im-internet.de/arbschg/ArbSchG.pdf [Stand: 06.10.2022].  

Bertelsmann Stiftung. (2022). 2023 fehlen in Deutschland rund 384.000 Kita-Plätze. Verfügbar unter: URL: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2022/oktober/2023-fehlen-in-deutschland-rund-384000-kita-plaetze [Stand 28.05.2023].

Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. (2023). Rückengerecht arbeiten in der Kita. Schritt für Schritt zum ergonomischen Berufsalltag. Hamburg: BGW.  

Bostelmann, A. & Engelbrecht, C. (2016). Eltern in Krippe und Kita gut informieren. Verfügbar unter: URL: https://www.bananenblau.de/images/documents/2017/eltern-gut-informieren_blick-ins-buch.pdf [Stand: 17.04.2023].  

Dreyer, R. (2017). Konzeption und Konzeptionsentwicklung. In P. Strehmel & D. Ulber (Hrsg.), Kitas leiten und entwickeln. Ein Lehrbuch zum Kita-Management (S. 55-64). Stuttgart: Kohlhammer.  

Gutknecht, D., Stehmeier, S. & Daldrop, K. (2021). Achtsam und responsiv: Das manuelle Handling in der Kita. Verfügbar unter: URL: https://www.kita-fachtexte.de/de/fachtexte-finden/achtsam-und-responsiv-das-manuelle-handling-in-der-kita [Stand: 17.04.2023].  

Hassenstein, B. (2001). Verhaltensbiologie des Kindes. Spektrum (5. Auflage) Akademischer Verlag

Hunziker, U. & Barr, R. (1986). Increased Carrying Reduces Infant Crying: A Randomized Controlled Trial. Pediatrics, 77 (5), S. 641-648.

Jansen, F., Streit, J. (2015). Fähig zum Körperkontakt. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag

Langen, von R. (2013). Krippen – aber sicher. FAQ zu Bau und Betrieb von Krippen und altersgemischten Gruppen. Freiburg: Herder.

Largo, R. H. (2007). Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren. München: Piper.

Lastenhandhabungsverordnung. (1996). Verfügbar unter: URL: https://www.gesetze-im-internet.de/lasthandhabv/LasthandhabV.pdf [Stand: 06.10.2022].     

Nutz, A. (2014). Mehr Lebensqualität durch vielfältigere Spannungsregulation. In: LQ Lebensqualität (13-18). 1/2014.

Nürnberg, C. (2018). Kita-Alltag zwischen Belastung und Erfüllung. Ergebnisse einer explorativen Interviewstudie mit Gruppenkräften und Kita-Leitungen. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Studien, Band 31. München.

Papousek, M. (2010). Regulationsstörungen in der frühen Kindheit: Klinische Evidenz für ein neues diagnostische Konzept (77-110). In: Papusek, M.; Schieche, M. & Wurmser, H. Regulationsstörungen in der frühen Kindheit. Frühe Risiken und Hilfen im Entwicklungskontext der Eltern-Kind-Bezehung. Bern: Verlag Huber.

Posth, R. (2014). Vom Urvertrauen zum Selbstvertrauen. Das Bindungskonzept in der emotionalen und psychosozialen Entwicklung des Kindes. (3. Aufl.). Münster: Waxmann.

Rudow, B. (2017). Beruf Erzieherin/Erzieher – mehr als Spielen und Basteln. Arbeits- und organisationspsychologische Aspekte. Münster: Waxmann. 

Schlösser, E. (2018). So gelingt Zusammenarbeit mit Eltern – U3. Professionell im Kontakt in Startphase, Elterngesprächen, Elternabenden & Hospitationen. Aachen: Ökotopia. 

Sinn-Behrendt, A., et al. (2015). "Projekt ErgoKiTa–Prävention von Muskel-Skelett-Belastungen bei Erzieherinnen und Erziehern in Kindertageseinrichtungen (IFA Report 2/2015)." Berlin: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V.(DGUV).

Thinschmidt, M., Gruhne, B. & Hoesl, S. (2008). Forschungsbericht zur beruflichen und gesundheitlichen Situation von Kita-Personal in Sachsen. Dresden: TU Dresden.

Weber, K. (2020). Die Kita-Konzeption. Stärkung und Weiterentwicklung Ihres pädagogischen Profils. (2. erw. und. aktual. Aufl.). Köln: Wolters Kluwer.

Autorinnen

Kira Daldrop ist Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin des InFanT Instituts für Familien- und Trageberatung (UG) sowie Erziehungswissenschaftlerin MA. Seit 2019 arbeitet sie als Trageberaterin in der Begleitung von Familien und Fachkräften im Bereich Pädagogik, Medizin und Geburtshilfe. Sie leitet den Fachbereich KiTa des InFanT Instituts und ist in der Aus- und Weiterbildung von TrageberaterInnen tätig.

Clara Jauch ist Kindheitspädagogin (B.A.) und Trageberaterin. Aktuell studiert sie den Master Bildung und Erziehung im Kindesalter an der Evangelischen Hochschule Freiburg.