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Zitiervorschlag

Frauen in der Geschichte des Kindergartens: Luise Besser

Manfred Berger

 

In Gemeinschaft mit Conradine Lück, Herman Nohl und Eduard Spranger erweckte Luise Besser im März 1948 den einstigen "Deutschen Fröbel-Verband e.V." (gegr. 1873), zehn Jahre nach seiner Auflösung im Jahre 1938, unter dem Namen "Pestalozzi-Fröbel-Verband e. V." und seine Verbandszeitschrift "Die Menschenerziehung" (später "Blätter des Pestalozzi-Fröbelverbandes", "Sozial-pädagogische Blätter", dann "Kinderzeit") zu neuem Leben. Noch im September des gleichen Jahres gründete sie in Hamburg eine Landesgruppe, satzungsmäßig ausgewiesen als "Pestalozzi-Fröbel-Verband e.V. - Zweigstelle Hamburg-.

Mit folgenden Worten erinnerte sich Luise Besser an ihre Motivation zur Gründung beider Fachverbände: "Wer miterlebte, wie alle Kindergartenräume von Flüchtlingsfamilien besetzt waren, wie plötzlich Haufen von Kindern von Müttern, die noch Wohnraum suchten oder Geld verdienen mußten, ohne Aufsicht herumliefen, der spürte den dringenden Aufruf zu helfen" (zit. n. Pestalozzi-Fröbel-Verband 1998, S. 130).

Bis 1958 war Besser Vorsitzende des Hauptverbandes, anschließend dessen Ehrenvorsitzende, und als solche hatte ihr Wort im Vorstand nach wie vor Gewicht. Die Verbandsvorsitzende setzte sich in ihrer 10-jährigen Amtszeit u.a. auch für den verstärkten Auf- und Ausbau des Kindergartenwesens ein. Diesbezüglich vermerkte Luise Besser rückblickend:

"Nachdem die erste Notzeit überwunden war, lag dem Verband daran, die Aufgaben, die der moderne Kindergarten hatte, zu klären und das 'Wie' seiner Arbeit zu durchdenken. Er arbeitete Richtlinien aus für die Errichtung von Kindergärten ... Schon 1951 warb er eindringlich für die Einrichtung von Halbtagskindergärten und ließ es sich angelegen sein, das Bewußtsein vom wirklichen Sinn und Rang der Kindergartenarbeit im Kreis seiner Mitglieder und darüber hinaus zu stärken. Das Frühjahr 1952 gab ihm die Möglichkeit, die Gedanken Fröbels über die Pflege der frühen Kindheit breitesten Kreisen nahezubringen und ihr Hineinwirken in die heutige Zeit deutlich zu machen. Im ganzen Bundesgebiet fanden sich führende Pädagogen, durch den Verband aufgerufen, bereit, im Interesse der Familienerziehung der frühkindlichen Erziehung und der Mütterbildung die Grundgedanken Fröbels einer breiten Öffentlichkeit darzulegen. Von der großen Jubiläums-Tagung 1952 in Frankfurt ... ging eine werbende Kraft für die Sache des Kindergartens aus; aber sie war nicht stark genug, um geldliche Mittel zum Aufbau eines umfassenden Kindergartenwesens in der Bundesrepublik freizumachen (zumal man seinerzeit den Kindergarten noch mehr als Notbehelf betrachtete; M. B.). Eine spätere Tagung, die den Dienst des Kindergartens an der Familie zum Ausgangspunkt hatte, wurde in einer Zeit durchgeführt, in der die Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes bald erwartet wurde. Sie zeichnete mit aller Deutlichkeit den Kindergarten als eine Erziehungsstätte, die allen Kindern offen stehen müsse, deren Eltern sie wünschten" (Besser 1961, S. 198 f.).

Für Luise Besser war der Kindergarten vordergründig eine soziale Erziehungsstätte für Kinder ab dem 3. Lebensjahr, die verstärkt den Kontakt zu kleinen Gruppen suchen und finden:

"Der Kindergarten kann das Gemeinschaftsbedürfnis und das Tätigkeits- und Spielbedürfnis dieser Altersstufe besonders gut befriedigen. Er kann dem Kind, stärker als die Familie heute dazu in der Lage ist, genügend Raum für die Befriedigung des Spielbedürfnisses geben und ihm auch die entsprechende Zeit zur Verfügung stellen. Es ist von großer Bedeutung, daß das Kind sich wirklich ausspielen und dabei körperliche, geistige und seelische Kräfte entwickeln kann" (Besser 1958, S. 25).

Zum Vorstandswechsel würdigte Elisabeth Zorell die scheidende Vorsitzende treffsicher "als Führerin eines Verbandes, der in materieller und ideeller Hinsicht schwer zu ringen hatte und der doch unabdingbare Aufgaben in der heutigen Gesellschaft erfüllen muß. Ihrer verständnisvollen Führung ist es zu verdanken, daß das Ansehen des Verbandes im In- und Ausland gewachsen ist und daß eine Reihe von Zielen, die er sich auf dem Gebiet der Ausbildung der sozialpädagogischen Fachkräfte, der Einrichtungen von Kindergärten, Horten, Spielplätzen, Schulkindergärten, der Elternerziehung gesteckt hatte, verwirklicht werden konnten. So wird in der Geschichte des Verbandes und der Entwicklung der Pädagogik im Bundesgebiet Frau Bessers Name immer ruhmvoll genannt werden" (Zorell, 1959, S. 27).

Am 12. April 1889 erblickte Julie Louise als zweites und jüngstes Kind des Buchhändlers Abedar Theodor Besser und seiner Ehefrau Louise Marie (geb. Gorges) in Neuhaldensleben (heute Haldensleben) das Licht der Welt. Im Alter von zwei Jahren starb ihr Vater. Trotz finanzieller Einschränkung sorgte die Mutter für eine gute Ausbildung der Tochter. Über Luise Bessers weiteren Lebensweg ist nachzulesen:

"Frau Besser hat nach ihrem Lehrerinnenexamen am Institut von Henriette Schrader-Breymann in Wolfenbüttel in ihrer Heimat Neuhaldensleben unterrichtet, danach das Abitur als Externe abgelegt, das Staatsexamen in den Fächern Geschichte, Deutsch, Theologie und Philosophie (die sie in Göttingen und Berlin studierte; M. B.) gemacht und von November 1919 bis Oktober 1925 als Leiterin der Sozialen Frauenschule und des Jugendleiterinnenseminars im Verein 'Jugendheim' in Charlottenburg mit Frau Anna von Gierke zusammen gearbeitet ... In Breslau hatte sie seit 1925 die Leitung der 'Städtischen Sozialpädagogischen Frauenschule', die Kinderpflegerinnenschule, Kindergärtnerinnen- und Jugendleiterinnenseminar, Wohlfahrtsschule und als Praxisstätten Kindergarten, Hort und Schulkindergarten umfasste" (Kahle 1959, S. 42).

Nachdem sie von den polnischen Behörden aus Breslau ausgewiesen worden war, übersiedelt Luise Besser nach Hamburg. Dort arbeitete sie zunächst von 1947 bis 1948 als Lehrkraft für sozialpädagogische Aufgaben und von 1948 bis 1954 als Direktorin, in Nachfolge von Conradine Lück, des renommierten und traditionsreichen "Fröbel-Seminars". Dabei hatte sie wesentlichen Einfluss auf die erweiterte und vertiefte Ausbildung von Kindergärtnerinnen und die Reformierung des Kindergartens von einer Notbehelfseinrichtung hin zu einer Erziehungs- und Bildungsstätte genommen. Dieser reichte weit über die Grenzen Hamburgs hinaus.

Luise Besser gehörte zeitlebens mehreren Verbänden und Gremien an. So war sie beispielsweise 1925 bis 1933 Vorstandsmitglied der Berliner "Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit", die von Alice Salomon ins Leben gerufen wurde. Im selben Zeitraum war sie Vorsitzende des Landesverbandes Schlesien und der Ortsgruppe Breslau des "Deutschen Verbandes der Sozialbeamtinnen". Im Jahre 1954 war Luise Besser Mitbegründerin und seit 1955 1. Vorsitzende der Aktion "Kinderparadies" zur Förderung und Einrichtung von Kinderspielplätzen im Gebiet Hamburg und zugleich 2. Vorsitzende des Nachbarschaftsheimes "St. Pauli". Außerdem war sie Mitglied des Hauptvorstandes der Gewerkschaft "Erziehung und Wissenschaft". Daneben leitete sie Ausschüsse und Kommissionen zu Fragen frühkindlicher Erziehung und familienpolitischer Maßnahmen im Rahmen der "Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge".

Am 19. Januar 1959 erhielt Luise Besser "in Anerkennung der um Staat und Volk erworbenen Verdienste" das "Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik" durch den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss verliehen.

Am 6. September 1982 starb Luise Besser hochbetagt im Alter von 94 Jahren in Hamburg.

Literatur

Besser, L.: Bedürfnisse des Kindes der verschiedenen Altersstufen, in: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge, Juli 1958

Dies.: Die Arbeit des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes seit 1948, in: Besser, L. u. a. (Hrsg.): Beiträge zur Sozialpädagogik. Wege zu modernen Formen, Heidelberg 1961

Kahle, M.: Erinnerung an Breslau. Aus Luise Bessers Lebensarbeit, Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes e.V. Jhg. 1959

Pestalozzi-Fröbel-Verband e.V. (Hrsg.): Geschichte des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes. Ein Beitrag zur Entwicklung der Kleinkind- und Sozialpädagogik in Deutschland, Freiburg 1998

Thorun, W.: Luise Besser - Aus ihren Briefen und Bekenntnissen -, Hamburg 1994

Zorell, E.: Frau Luise Besser 10 Jahre 1. Vorsitzende des Verbandes, in: Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes e.V., Jhg. 1959