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Zitiervorschlag

Frauen in der Geschichte des Kindergartens: Erna Corte

Manfred Berger

Als Kind gutsituierter Eltern wurde Christine Margarethe Erna Corte am 24. Dezember 1892 in Halle geboren. Sie starb am 8. November 1975 in Berlin.

Nach dem Besuch des Lyzeums entschied sich das junge Mädchen für den Beruf der Kindergärtnerin. Ihre Ausbildung absolvierte Erna Corte am Leipziger Kindergärtnerinnenseminar, das von der bekannten Fröbelepigonin und Frauenrechtlerin Henriette Goldschmidt ins Leben gerufen worden war. Anschließend arbeitete sie in verschiedenen Kindergärten Leipzigs. Dabei beklagte die junge Kindergärtnerin die vorherrschende Reglementierung der Kinder, die den ganzen Tag über "mit Gebeten, gemeinschaftlich organisiertem Spiel, Marschierübungen, Beschäftigung mit den Fröbelschen Gaben u.a.m." (zit. n. Berger 1995, S. 30) auf Trapp gehalten wurden.

Neben ihrer beruflichen Tätigkeit bereitete sich Erna Corte noch auf das Abitur vor, das sie 1914 als Externe erfolgreich ablegte. Es folgte das Studium der Volkswirtschaft in Heidelberg. Dieses schloss Erna Corte 1919 mit der Promotion ab. Ihr Dissertationsthema lautete: "Liberalismus und Sozialpolitik".

Bis zum Jahre 1924 war sie in Stuttgart zuerst als Hilfsreferentin im Arbeitsministerium, dann als Referentin im Arbeitsamt tätig. Dem folgte eine Anstellung am "Archiv für Jugendwohlfahrt" des Reichsinnenministeriums in Berlin. Eine ihrer Aufgaben war, das nach langen parlamentarischen Beratungen in Kraft gesetzte "Reichsjugend-Wohlfahrtsgesetz" (RJWG) in die Praxis umzusetzen. Dazu gehörte auch die (rechtliche) Regelung der behördlichen Zuständigkeit der unterschiedlichen Gruppen von Kindergärten, die wie folgt festgelegt wurde:

"Während die Kindergärten allgemeiner Art in erster Linie der Zuständigkeit des Volksministeriums zugesprochen werden, ist für folgende 3 Gruppen das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zuständig:
a) Schulkindergärten; das sind Kindergärten, die von körperlich oder geistig entwicklungsgehemmten Kindern im schulpflichtigen Alter besucht werden;
b) Kindergärten, die Ausbildungszwecken dienen (Seminarkindergärten, Kindergärten bei Frauenschulen und dergleichen);
c) Kindergärten, die als pädagogische Versuche gelten" (Corte 1933, S. 119).

Besondere Beachtung fand seinerzeit Erna Cortes Untersuchung zur Situation der Schulkindergärten (auch Vorklassen, Sonderklassen/-kindergärten oder Vorbereitungsklassen genannt) im Deutschen Reich. Sie konnte darstellen, dass "die Erfolge des Schulkindergartens sowohl in bezug auf die körperliche Entwicklung der Kinder - auffallend hohe Gewichtszunahmen, Steigerung der körperlichen Gewandtheit - sowie in bezug auf den geistigen Entwicklungszustand und die Sinnesbildung als sehr gute bezeichnet werden können und somit der Plan auf Vermehrung der bestehenden Einrichtungen besteht" (Corte 1926, S. 26).

Ein weiterer Schwerpunkt von Erna Corte war ihr Einsatz für die "Kindernot auf dem Lande", der "durch die Schaffung von Kindertagheimen im weitgehenden Maße abgeholfen werden könnte" (Corte 1930, S. 16). Dazu führte sie näher aus:

"Die Berufsstatistik von 1925 hat gezeigt, daß die Erwerbsarbeit der Frauen auf dem Lande außerordentlich hoch ist, in einzelnen Gruppen bis zu 90% beträgt. Vornehmlich in der Zeit der Feldbestellung und der Ernte sind alle Kräfte aufs stärkste in Anspruch genommen. Für die Betreuung der Kinder bleibt dann weder Zeit noch Kraft. Das gilt sowohl für die Kinder der Landarbeiter als für die der kleinen selbständigen Landwirte ...
Der Begriff des Kindergartens wird entsprechend den ländlichen Verhältnissen weitergefasst als in der Stadt. Es sollen sowohl alle aufsichts-, pflege- und erziehungsbedürftigen Kinder im vorschulischen Alter - also neben Kleinkindern auch sogenannte Krabbelkinder - aufgenommen und auch der Besuch von Schulkindern gestattet werden, so daß also eine Zusammenfassung von Tageskrippe, Kindergarten und Hort geschaffen wird, die man in der Stadt als 'Kindertagheim' bezeichnet.
Man mag vom rein ärztlichen Standpunkt dieser gemeinsamen Unterbringung von den im allgemeinen besonders anfälligen Krabbelkindern mit älteren Kindern bedenklich gegenüberstehen: die Praxis der Fürsorge wird diese Einrichtungen immerhin als einen Fortschritt gegenüber dem heute in keiner Weise, nämlich weder ärztlich noch fürsorgerisch, verantwortbaren Zustande betrachten" (Corte 1930, S. 16 ff.).

Von 1933 bis 1945 war Erna Corte Abteilungsleiterin beim "Deutschen Institut für Jugendhilfe". Sie war u.a. zuständig für das Adoptionswesen und die Vermittlung von Pflegschaften.

Obwohl Erna Corte noch 1933 den mutigen Schritt unternahm und der SPD beitrat, um damit ihre Gegnerschaft zur NSDAP öffentlich kundzutun, passte sie sich in ihren Publikationen mehr oder weniger der neuen Ideologie an. Beispielsweise konstatierte sie über die "Dorfkindergartenarbeit", die den Nazis besonders am Herzen lag:

"Bemüht man sich heute, einen Überblick über die Entwicklung der Kindergartenarbeit seit Beginn der nationalsozialistischen Regierung zu gewinnen, so fällt mit Deutlichkeit eines auf: der Landkindergarten steht viel stärker im Mittelpunkt sozialen Denkens und Handelns als der Kindergarten in der Stadt, vor allem der Großstadt. Das nimmt nicht wunder in einem Staate, der bewusst das völkische Leben vom Lande her neu unterbauen will aus der Erkenntnis heraus, daß dort 'die starken Wurzeln seiner Kraft' ruhen" (Corte 1935, S. 185).

Einer besonderen Hervorhebung bedarf Erna Cortes Einsatz für Verfolgte und Bedrohte der Nazi-Diktatur. Sie verhalf jüdischen und politisch unliebsamen Menschen zur Ausreise, indem sie die nötigen Devisen und Bürgschaften besorgte. Auch übernahm sie die Vormundschaft für die sechs Kinder von Hermann Maaß, der im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt wurde und denen kurz danach die Mutter verstarb (vgl. Bürger 1998, S. 98 ff.).

Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Gewaltherrschaft übernahm Erna Corte am renommierten Berliner "Pestalozzi-Fröbel-Haus" für kurze Zeit eine lehrende Tätigkeit. Anschließend arbeitete sie für ein Jahr in der Zentralverwaltung des Berliner Gesundheitswesens und schließlich bis zu ihrer Pensionierung (1958) als Leiterin des Bezirksjugendamtes Berlin-Steglitz.

Neben ihren beruflichen Verpflichtungen gehörte Erna Corte verschiedenen Verbänden und Organisationen an. So war sie beispielsweise seit 1925 im Vorstand des "Deutschen Fröbel-Verbandes", gehörte von 1924 bis 1931 zu den Vorstandsmitgliedern des "Bundes Deutscher Frauenvereine" und leitete die Berliner Geschäftsstelle des Bundes. Von 1925 bis 1930 war Erna Corte Vorstandmitglied der "Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit" und engagierte sich schließlich von 1950 bis 1959 im Hauptausschuss des "Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge". Besonders am Herzen lag Erna Corte das von ihr 1946 in Berlin-Steglitz gegründete Nachbarschaftsheim, dessen 1. Vorsitzende sie über viele Jahre hinweg war. Bis zu ihrem Tode fühlte sie sich dem Steglitzer Nachbarschaftsheim verbunden.

Literatur

Berger, M.: Zum 100. Geburtstag von Erna Corte, in: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik 1992/H. 6

ders.: Führende Frauen in sozialer Verantwortung: Erna Corte, in: Christ und Bildung 1993/H. 1

ders.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995

ders.: Corte, Christine, Margarethe Erna - Sozialpolitikerin und Jugendamtsreferentin, in: Maier, H. (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg 1998

Bürger, W.. Erna Corte - Ihre Bedeutung für die Frauenbewegung und Sozialarbeit/-pädagogik, Wertingen 1998 (unveröffentl. Diplomarbeit)

Corte, E.: Die organische Ausgestaltung der Vorbereitungsklassen. Schulkindergärten, Vorklassen, in: Corte, E./Corvinus, L.: Entwicklungsgehemmte Kinder in Vorbereitungsklasse und Sonderkindergarten, Leipzig 1926

dies.: Kindergärten, Horte und Tagesheime im Kampf gegen die Kindernot, Berlin 1930

dies.: Schulkinderpflege, in: Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht (Hrsg.): Das Deutsche Schulwesen. Jahrbuch 1930/32, Berlin 1933

dies.: Fragen der Dorfkinderarbeit, in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 1935/H. 7