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Zitiervorschlag

Aus: WWD 2001, Ausgabe 75, S. 24-26

Klären von Konflikten in Gruppen

Rita und Norbert Seeger


Zum Hintergrund des Modells

Aus den vielen Beobachtungen, Erfahrungen und Gesprächen mit Lehrern und Lehrerinnen sowie Pädagoginnen und Pädagogen aus den unterschiedlichsten Berufsfeldern ist ein deutliches Ansteigen der Probleme und Konfliktlagen in den pädagogischen Einrichtungen zu verzeichnen. In der Regel stehen die Betroffenen den Problemen und Konflikten ratlos und manchmal verzweifelt gegenüber. Bei aller Anstrengung, regulierende und integrierende Maßnahmen in Gang zu setzen, sind die Resultate oft kurzlebig.

Der Artikel möchte ein Verfahren zur Beratung und Klärung von Konflikten in und mit Gruppen vorstellen.

Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass Verhaltensprobleme und Konflikte für den Gruppenleiter informativ sind. Probleme und Konflikte sollten - was nicht immer so leicht fällt - mit wohlwollender Haltung angesprochen und beraten werden. Dabei geht es nicht um das vorschnelle Aussprechen von Ratschlägen und Schuldzuweisungen, sondern darum, einen Raum zu eröffnen für Meinungsäußerungen, Reflexionen und gemeinsame Lösungsfindungen.

Die Grundlagen unseres Beratungsmodelles, das wir in unserem Arbeitsheft vorstellen, werden bereitgestellt von der Humanistischen Pädagogik und Psychologie. Diese findet ihre Konkretion in pädagogischen und psychologischen Richtungen wie der Gestaltpädagogik, der systemischen Familientherapie, dem Psychodrama, der Kooperativen Beratung und der Mediation, um nur einige für uns wesentliche zu nennen. Beratung, so sie nicht in Ratschlägen endet, bedarf allerdings bestimmter Kenntnisse und Strukturen.

Das Beratungs- und Konfliktlösungsmodell kann von unterschiedlichen Adressatengruppen in den jeweiligen Beratungs- und Konfliktlösungssituationen angewendet werden.

Die Gruppe ist aktiv und passiv mitbeteiligt

Passiv, indem in jedem einzelnen Gruppenmitglied durch die Teilhabe an der gesamten Gesprächssituation innere personenzentrierte Klärungsprozesse ablaufen. Wie allerdings die einzelnen Gruppenmitglieder die problembezogenen Klärungsprozesse, die wohlwollende Haltung des Beraters, die zum Teil sehr direkten, subjektiven Meinungsäußerungen, die offene Gesprächsatmosphäre aufnehmen, ist erst einmal von den individuellen Konfliktklärungserfahrungen jedes Einzelnen abhängig.

Trotz vorhandener Erfahrungsunterschiede kann jedes Gruppenmitglied an einem Identifikations- und Lernprozess teilnehmen, indem es Elemente des Klärungsprozesses auf sich bezieht und dies immer wieder. Durch diesen Gruppenprozess wird einerseits eine Beratungs- und Konfliktklärungskultur in der Gruppe entwickelt und anderseits kann jedes Individuum ganz neu dazulernen, konstruktiv mit Konflikten und mitmenschlichem Verhalten umzugehen. Denn dem Konflikt wird sich nicht disziplinarisch, sondern verstehend angenähert.

Die aktive Teilnahme eines jeden Gruppenmitgliedes am Gesamtprozess kann sehr unterschiedlich sein. Man kann in einen Konflikt involviert sein und ist somit Konfliktpartner im Gespräch. Man kann Beobachter des Konfliktes gewesen sein oder man beteiligt sich aktiv als Gruppenmitglied an der Lösungsfindung. Von daher liegt in der Durchführung dieses Beratungs- und Konfliktklärungsmodelles für Gruppen eine großen Chance hin zu einem friedlichen Miteinander.

Ein Lehrer, Pädagoge, Psychologe, Gruppenleiter (GL) sieht sich im Alltag immer wieder vor die Situation gestellt, dass von Kindern oder Jugendlichen Problemsituationen an ihn herangetragen werden. Allzu oft glaubt er sich befleißigen zu müssen, schnell einen Rat zu erteilen oder aus Überdruss der immer wieder auftauchenden Probleme, eine banale Antwort zu geben, wie: Gebt euch die Hände und entschuldigt euch. Oder: Geht euch aus dem Weg. Hauptsache man hat erst einmal als Autoritätsperson eine Reaktion gezeigt und der Dienstpflicht genüge getan. Dass sich durch solcher Art Interventionen nichts zum Positiven wendet, erfährt man durch die Beständigkeit der immer wieder ähnlich auftretenden Situationen, die - ist man einmal ehrlich - auf Dauer ziemlich nerven.

Was kann man nun konkret zur Verbesserung der Atmosphäre tun?

  • Kindern und Jugendlichen Raum und Zeit zur Aussprache geben
  • Kinder und Jugendliche ernst nehmen und ihnen aktiv zuhören
  • Kinder und Jugendliche verantwortlich in die Gesprächssituation einbinden
  • Kinder und Jugendliche Gedanken, Beweggründe und Gefühle zur Situation äußern lassen
  • Kinder und Jugendliche dabei begleiten, einen produktiven Lösungsweg zu finden

Die Rollen der Beteiligten und wichtige Rahmenbedingungen

Der Gruppenleiter:

Der Gruppenleiter ist verantwortlich für den Prozess der Beratung und Klärung. Die Gruppenleiterin/der Gruppenleiter führt das Gespräch

  • mit Anteilnahme,
  • macht das Problem konkret,
  • spricht Gedanken und Beweggründe an,
  • spricht Gefühle an,
  • fasst das Gesagte zusammen/spiegelt.

Die Konfliktpartner:

Die Konfliktpartner sind aufgefordert ihrer Sichtweise, Gedanken und Gefühle zu äußern. Das Verfahren setzt die Bereitschaft voraus, dies zu tun.

Die Beobachter:

Die Beobachter sind Zeugen der Konfliktsituation. Sie eröffnen ein breiteres Spektrum der Situation. Bei einer großen Anzahl von Beobachtern ist es sinnvoll, etwa zwei bis drei Beobachter auszuwählen. Vorsicht: Auch die Beobachter sind nicht immer Garanten der Wahrheit.

Die gesamte Gruppe:

Alle Gruppenmitglieder können sensibel werden für angemessenes und unangemessenes soziales Verhalten und können lernen, auf kreative Weise Konfliktsituationen zu bewältigen bzw. durch angemessenes Miteinander erst gar nicht entstehen zu lassen.

Zum Umgang mit unwahren Aussagen:

Es ist nicht immer möglich, den tatsächlichen Hergang einer Situation festzustellen. Dieses gruppenorientierte Beratungsverfahren ist dazu geeignet, die Erfahrung zu vermitteln, dass grenzüberschreitendes Verhalten nicht ohne Konsequenzen bleibt. Der Gruppenleiter bittet sowohl die Beobachter als auch die Konfliktparteien um wahrhaftige Aussagen. Wenn es zu widersprüchlichen Aussagen kommt, muss der Gruppenleiter die Widersprüche hervorheben und kann zur Klärung seine Wahrnehmung des Gesprächsverlaufes verdeutlichen.

Gesprächsregeln:

  • Ich beschimpfe niemanden.
  • Ich höre dem zu, der gerade spricht.
  • Ich lasse andere ausreden.
  • Ich spreche nur für mich.

(Meine Sätze beginnen mit dem Wort "Ich".)

Das Praxismodell der Beratung und Klärung eines Konfliktes

1. Start - Raum schaffen

- Einladung des Gruppenleiters an die Konfliktpartner zur gemeinsamen Konfliktklärung

Wenn Ruhe in der Gruppe eingetreten ist, bittet der Gruppenleiter die Konfliktpartner zum gemeinsamen Gespräch zu sich.

- Setting einrichten

Es sollte ein für alle gut sichtbarer Platz im Raum zur Positionierung der Sitzgelegenheiten gewählt werden. Zwei Stühle für die Konfliktpartner, ein Stuhl für den Gruppenleiter und es sollte Raum sein für den Friedensstuhl, der aber erst später dazugestellt werden sollte. Die ausgewählten Beobachter stellen sich dazu.

- Bitte an die restliche Gruppe um Mithilfe bei der Lösungsfindung

Der Gruppenleiter bittet die restliche Gruppe um aufmerksames Verfolgen des gesamten Gesprächsverlaufes und um spätere Mithilfe bei der Lösungsfindung.

2. Aussprache - Was war los?

- Die Konfliktpartner stellen kurz nacheinander ihre Sichtweise dar.

Wichtig ist, dass bei diesem zweiten Schritt für jeden der beiden Konfliktpartner genügend Zeit zur Verfügung steht und dass die Regeln eingehalten werden: keine Beschimpfungen, ausreden lassen. Oft ist ein zweiter Durchgang sinnvoll, in der Weise dass der Konfliktpartner, der zuerst mit seiner Darstellung begonnen hat, die Möglichkeit der Ergänzung bekommt (Willst du noch etwas hinzufügen?) oder auf die Darstellung des Konfliktpartners eingehen kann (Du hast gehört was ... (Name) gesagt hat, willst du dazu noch was sagen?) und danach der andere Konfliktpartner. In dieser Phase des 2.Schrittes kann es sinnvoll sein, das Geschehen, um das es geht, zu visualisieren.

- Die Beobachter des Konfliktes beschreiben ihre Wahrnehmungen.

Die Beobachter werden vom GL gefragt, was sie gesehen haben. Sie werden um wahrheitsgemäße Beobachtungen gebeten. Sie sprechen direkt zum GL und nicht zu einem der Konfliktpartner. Dies soll verhindern, dass es nicht zusätzlich zu emotionsgeladenen Konfrontationen kommt. Anschließend setzen sich die Beobachter wieder.

- Der Berater bittet die Konfliktpartner um wahrheitsgemäße Aussagen.

Die Konfliktpartner haben nun erneut die Möglichkeit, nacheinander zu ergänzen, zu kommentieren oder Abweichungen von der Sichtweise eines der Beobachter darzustellen.

- Der GL befragt die Konfliktpartner nach Gedanken und Beweggründen während der Streitsituation

Durch das Aussprechen der Gedanken der beiden Konfliktpartner - wiederum nacheinander - soll in einem ersten Schritt die Entstehung des Konfliktes erhellt werden

- Der GL fragt die Konfliktpartner nach ihren Gefühlen während der Streitsituation

Hier wird die Möglichkeit gegeben, Gefühle, die man in der Konfliktsituation empfunden hat, auszusprechen. Hierdurch wird die Konfliktursache noch einmal vertiefend erhellt.

In dieser Phase werden häufig die Verletzungen sichtbar, die eine Konfliktsituation eskalieren ließen. (Es kann an dieser Stelle sinnvoll sein, dass der GL die Konfliktpartner rückfragt, ob sie das jeweilige Gefühl des anderen nachvollziehen oder gar verstehen können. Dadurch wird häufig zum Verständnis für das Verhalten des anderen und für eine Wiederannäherung gelegt).

3. Beziehungsklärung - Der Friedensstuhl

- Ein leerer Stuhl (Friedensstuhl) wird dazugeholt.

Der Friedensstuhl sollte möglichst ein besonderer Stuhl sein: besonders groß, schön, farbig angemalt u.Ä. Er unterstützt räumlich die jetzt neu einzuleitende Sichtweise der Konfliktpartner, nämlich ihre Orientierung hin zu einer Zielfindung.

- Zielfindung

Die Konfliktpartner setzen sich nun nacheinander auf diesen Stuhl und werden jeweils vom Gruppenleiter befragt:

Was hat dich an der Situation am meisten gestört?

Was wünscht du dir von dem Konfliktpartner (entspr. Name) zukünftig?

4. Neue Wege - Wir suchen Lösungen

- Konfliktpartner suchen Lösungsvorschläge

Der Gruppenleiter befragt nun nacheinander die Konfliktpartner, ob sie Lösungen und Ideen zur Behebung des Konfliktes vorschlagen können.

- Die gesamte Gruppe hilft Lösungen zu finden.

Die Gruppe hilft nun Ideen für Lösungen zu finden. Dieser Teilschritt hat die Funktion, dass sich das Spektrum möglicher Lösungsideen erweitert. Es kann sinnvoll sein, eine Begrenzung der Anzahl der Lösungen vorzunehmen, damit niemand den Überblick verliert. Der GL bittet die Konfliktpartner, besonders sorgfältig hinzuhören.

- Die Konfliktpartner entscheiden sich

Die beiden Konfliktpartner wählen nun wiederum nacheinander eine Lösungsidee aus. Ein wichtiges Auswahlkriterium sollte die effektive und möglichst einfache Realisierbarkeit sein.

- Der Gruppenleiter bedankt sich bei allen Beteiligten

Nun bleibt nur noch der Dank seitens des Gruppenleiters an die Konfliktpartner und die Gruppe, die unterstützt hat. Der Ausdruck des Dankes ist wichtig. So wird von allen Beteiligten gelernt, dass die Klärung von Konflikt- und Problemsituationen eine Leistung ist, die Dank und Anerkennung verdient.

Erklärende Hinweise zum Beratungsprozess

Visualisieren:

Es kann hilfreich sein, wenn man besonders zu Beginn der Gesprächssituation (2.Schritt) verbalisierten Informationen auf ein größeres Blatt Tonpapier (Flipchart) oder an die Tafel schreibt.

Es kann ebenfalls sinnvoll sein, wenn komplexe Abläufe in ihrer Abfolge und Bedingungsstruktur mit verschiedenfarbigen Filzstiften aufgemalt werden.

Hierzu eignen sich auch Püppchen oder Figuren, die die einzelnen Personen in der Realität symbolisieren, die man dann auch auf dem Boden hin und her schieben kann. Beim 4.Schritt können dann durch Verschieben der Figuren Klärungsangebote gemacht werden. Eine weitere Möglichkeit der Visualisierung ist das Nachstellen einer Situation:

Andere Gruppenteilnehmer werden durch den GL so im Raum platziert, dass das Geschehen für alle besser vorstellbar wird. Dabei können die Konfliktpartner einbringen, ob ihrer Meinung nach die Situation so richtig nachgebildet wurde. Handfeste Aktionen mit intensivem Körperkontakt sollten vermieden werden.

Zum Erfragen von Gedanken und Gefühlen, sowie zur Methode des Spiegelns, können Sie die entsprechenden Hinweise dem Artikel der beiden Autoren "Personzentrierte Beratung" im WWD Nr. 74, September 2000, S. 2-5 entnehmen.

Ein Praxisbeispiel

Ort des Konfliktes: Pausenhof

Ort des Gespräches: Klassenraum einer 2. Klasse

Zeit: nach der Pause

Jenny und Matthias wenden sich direkt nach der Pause aufgebracht an die Lehrerin, überhäufen sie mit Informationen und haben offenbar die Erwartung, dass die Lehrerin klärend interveniert. Nachdem sich alle Schüler gesetzt haben und Ruhe eingetreten ist, fragt die Lehrerin Jenny und Matthias, ob sie bereit sind, noch einmal die Situation hier in der Klasse durchzusprechen, um nach einer angemessenen Lösung zu suchen.

Jenny und Matthias bejahen.

Die Lehrerin spricht zur gesamten Klasse und fordert die Schüler auf, das Gespräch zu verfolgen und später Lösungsmöglichkeiten mit einzubringen.

Die Lehrerin lädt Jenny und Matthias zum Gespräch ein. Man sitzt in einer Dreiergruppe zusammen. Die Lehrerin fragt, wer den Vorfall beobachtet habe und bittet daraufhin zwei Buben und zwei Mädchen, die sich melden, hinzu. Lehrerin: Jenny und Matthias ihr habt euch in der Pause gestritten. Bitte stellt nacheinander kurz dar, was aus eurer Sicht passiert ist.

Jenny: Ich habe Matthias gefragt, ob ich seine Diddelbilder sehen kann und dann habe ich mir welche aus seiner Tasche genommen. Und dann hat mich Matthias getreten.

Matthias (ängstlich schauend): Ich habe den Kopf geschüttelt und Jenny hat sich einfach Bilder genommen. Ich habe Jenny nicht getreten.

Die Lehrerin bittet die Beobachter zu berichten.

Die Beobachter (2 Buben): Jenny hat Matthias getreten. Matthias wollte die Bilder nicht zeigen.

Beobachterinnen (2 Mädchen): Matthias hat Jenny getreten.

Die Lehrerin bedankt sich bei den Beobachtern und schickt sie auf ihre Plätze zurück.

Danach bittet die Lehrerin beide Streitende um wahrheitsgemäße Aussagen und verweist auf die Ausführungen der Beobachter.

Lehrerin (zu Jenny gewandt): Jenny ,ich fasse einmal zusammen, was ich bis jetzt gehört habe. Du hast, ohne auf Matthias Kopfschütteln zu achten, die Bilder aus seiner Tasche genommen. Und ich habe gehört, dass du Matthias (zu Matthias gewandt) Jenny getreten hast.

Matthias, obwohl du mit dem Kopf geschüttelt hast, hat Jenny dir Bilder weggenommen. Daraufhin hast du Jenny getreten.

Lehrerin (zu beiden gewandt): Welche Gedanken gingen euch in der Streitsituation durch den Kopf?

Jenny: Ich wollte die Bilder doch nur einmal sehen.

Matthias: Ich wollte ihr die Bilder nicht zeigen.

Lehrerin: Wie hast du dich in diesem Moment gefühlt, Jenny?

Jenny: Ich wurde wütend, weil mich der Matthias getreten hat.

Lehrerin: Und du Matthias?

Matthias: Ich war wütend, weil Jenny einfach meine Bilder genommen hat.

Jenny: Jetzt habe ich Angst, dass der Matthias mich im Bus schlägt.

Lehrerin: Ihr wart also beide ärgerlich und jetzt hat Jenny noch Angst, dass du, Matthias, sie später im Bus schlägst.

Die Lehrerin holt den Friedensstuhl dazu, bittet die Schüler nacheinander (Jenny beginnt), auf diesem Stuhl Platz zu nehmen und stellt folgende Fragen:

Lehrerin: Jenny, was stört dich im Moment am meisten an Matthias?

Jenny: Dass er mich im Bus schlagen will.

Lehrerin: Du möchtest nicht von Matthias geschlagen werden.

Jetzt wird Matthias gebeten, sich auf den Friedensstuhl zu setzen.

Lehrerin: Matthias, was stört dich im Moment am meisten an Jenny?

Matthias: Dass sie einfach meine Bilder genommen hat.

Lehrerin: Was wünschst du dir von Jenny?

Matthias: Sie soll nicht mehr so gemein zu mir sein und mich nicht treten.

Die Lehrerin fragt Matthias und Jenny nacheinander, ob sie schon Lösungsideen haben, wie man wieder friedlich miteinander umgehen könne. Oder, ob sie gegenseitig bereit sind, dem seitens des Konfliktpartners geäußerten Wunsch nachzukommen. Beide sind aber im Moment noch unentschieden. Daraufhin befragt die Lehrerin die Mitschüler und diese nennen folgende Ideen:

(Im Blick auf Jenny) Jenny soll sich bei Matthias entschuldigen. Jenny muss auf das Kopfschütteln von Matthias achten. Jenny sollte Matthias nicht mehr treten.

(Im Blick auf Matthias) Matthias sollte Jenny im Bus in Ruhe lassen. Matthias sollte nicht gleich treten, wenn er wütend ist, sondern mit Worten antworten. Matthias sollte Jenny sagen: Nein ich will dir die Bilder nicht zeigen.

Die Lehrerin bedankt sich bei der Gruppe für die Vorschläge und wendet sich an Jenny und Matthias.

Lehrerin: Jenny und Matthias habt ihr eine Möglichkeit für euch gehört, die zu euch passt?

Jenny: Ich entschuldige mich bei Matthias!

Matthias: Ich lass Jenny im Bus in Ruhe!

Die Lehrerin bedankt sich bei Jenny und Matthias.

Kommentar:

Ein Klärungsprozess wie der eben beschriebene eröffnet zuerst einmal allen Schülern die Erfahrung, dass es möglich ist, in einer angenehmen Atmosphäre aussprechen zu können, was einen bewegt: also angehört und bei der Klärung begleitet zu werden. Matthias’ anfänglich ängstliche Gesichtszüge entspannten sich, als er spürte, dass er nicht, wie schon so oft, sofort angeklagt wird, sondern dass er sozusagen zu Unrecht von Jenny so behandelt wurde. Dies ermöglichte ihm auch zuzugeben, dass er getreten hat. Jenny hingegen, eine sehr energische kleine Person, musste am Ende feststellen, dass man beim unberechtigten Verletzen von Grenzen mit üblen Folgen für sich selbst zu rechnen hat.

Weiterführende Literatur

Manteufel, E./Seeger, N.: "Selbsterfahrung mit Kindern und Jugendlichen", München 1998 (3. Aufl.).

Pöhlker, R.: "Gewalt im Griff?" In: Pädagogik, H.1/Januar 1999 (Zeitschrift im Beltz-Verlag).

Seeger, R.: "Kontakt und Konfrontation - Vom Umgehen mit dem Unvermeidlichen." In: Gestaltpädagogik 1999, 8. Jg., H. 13, S. 15-22.

Seeger, R. & N.: "Personzentrierte Beratung". In: WWD Nr. 74, September 2000, S. 2-5.

Seeger, R. & N.: "Beraten & Konfliktklärung in und mit Gruppen - Ein effektives Praxisverfahren durch Konfrontation und Kontakt"; Praxis-Arbeitsheft im Auer-Verlag, erscheint im Frühjahr 2001.

Biographie

Rita Seeger, Jahrgang 1950, Dipl.-Pädagogin, hauptberuflich als Ausbildungsleiterin in der zweiten Phase der Lehrerausbildung tätig, Gestaltpädagogin, diverse längerfristige Fortbildungen im Bereich der humanistischen Psychologie und Pädagogik.

Norbert Seeger, Jahrgang 1950, Dipl.-Pädagoge, Sonderschulrektor an einer privaten Schule für Kranke an einer Rehabilitationsklinik für Kinder und Jugendliche in Bad Orb. Verschiedene therapeutische Zusatzausbildungen (u.a. Integrative Gestalt-Körpertherapie). Tätig als Supervisor und Trainer für Themengebiete im Bereich der humanistischen Psychologie und Pädagogik.

Hinweis

Die Autoren bieten in regelmäßigen Abständen Trainings zu verschiedenen Themen und Methoden an. Nähere Informationen und Anmeldung unter Tel. 06052/5767.