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Zitiervorschlag

Aus: Entdeckungskiste 2013, Heft 3 "Alles was Recht ist". © Verlag Herder GmbH, Freiburg i. Br. Mit Genehmigung des Verlages

Kleine Weltbürger - Wie die Kita "Plappersnut" nach dem lebensbezogenen Ansatz arbeitet

Monika Janzer

 

Die Kita "Plappersnut" in Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) arbeitet nach dem lebensbezogenen Ansatz, den Norbert Huppertz in den 1990er Jahren entwickelte. Ihre pädagogischen Ziele orientieren sich an Werten und an der ganzheitlichen Betrachtung des Lebens.

"Ende der 1990er Jahre bezeichneten wir unser Konzept als lebensnah. Da kannten wir den lebensbezogenen Ansatz noch nicht, sondern haben angefangen, uns an den Bedürfnissen der Kinder zu orientieren und auch daran, was uns wichtig ist und was wir den Kindern mit auf den Weg geben möchten", berichtet Frau Ute Schmidt, Geschäftsführerin der Kinderwelt Wismar e.V. und ehemalige Leiterin der Kita "Plappersnut". Mit der Arbeit nach dem lebensbezogenen Ansatz hat die Einrichtung 2001 begonnen. Sie hieß auch nicht immer "Plappersnut", sondern zu DDR-Zeiten einfach nur "Kombi 3". Nach der Wende wurden Krippenkinder und Kinder mit Behinderung in die Kita integriert. Das Jugendamt gab der Einrichtung die Aufgabe, ein Konzept auszuarbeiten und schriftlich festzuhalten. Frau Schmidt beschreibt diese Umbruchphase als wilde Zeit: "Wir haben sehr viel über Versuch und Irrtum gearbeitet. Wir mussten zu einem Team zusammenfinden und uns überlegen, wie und wonach wir arbeiten wollten." Während dieser Umbruchphase suchte eine andere Kita der Region Partnereinrichtungen für das Landesmodellprojekt "Lebensbezogener Ansatz in Kindertageseinrichtungen". Mit einer weiteren Kita startete das Projekt daraufhin unter der Schirmherrschaft des Landes Mecklenburg-Vorpommerns und unter wissenschaftlicher Begleitung von Norbert Huppertz, Professor an der Päd. Hochschule Freiburg. "Wir hatten eine fruchtbringende Zeit mit Dr. Huppertz," erinnert sich Ute Schmidt, "und haben damals wirklich erkannt, dass der lebensbezogene Ansatz die richtige Pädagogik für uns ist."

Ausgangspunkt: Das Leben des Kindes

"Das Kind ist wie ein Feuer, das durch Anregung der pädagogischen Fachkraft immer am Brennen erhalten bleibt. Von innen heraus hat es selbst viel Leuchtkraft, die man zulassen muss", beschreibt Ute Schmidt das Bild vom Kind in der Kita "Plappersnut". Um das Feuer und Leben jedes Kindes zu erfassen und darauf eingehen zu können, führt die Kita ausführliche Aufnahmegespräche und eine intensive Eingewöhnung unter Einbeziehung der Eltern durch. "Wir fragen im Vorfeld viele Dinge ab. Nur das, was wir wissen, können wir später umsetzen", erläutert Kathrin Lange, die heutige Leiterin der Kita "Plappersnut". Um später auch nicht am Leben des Kindes und seiner Lebenswelt vorbeizuagieren, nutzt die Kita ebenso das Portfolio als Arbeitsmittel. "Die Eltern sind gerade zu Anfang in die Gestaltung des Portfolios mit einbezogen", berichtet Ute Schmidt. Auf diese Weise erfahren die Erzieher/innen etwas über die Lebensgeschichte des Kindes und seine Familie. Kontakt zu den Familien hält die Kita zudem über Elternachmittage.

Werte als pädagogische Ziele

Der lebensbezogene Ansatz orientiert sich an Werten, die den pädagogischen Fachkräften und den Kindern Orientierung (-swissen) bieten. Oberster Leitwert ist dabei das Leben selbst, und die folgenden drei Werte stehen deshalb auch in der Kita "Plappersnut" als pädagogische Ziele im Mittelpunkt:

Weltbürger

"Alle Menschen sind gleich. Das ist uns sehr wichtig. Egal, ob die Kinder behindert sind oder anderen Nationalitäten angehören", erklärt Kathrin Lange. Ein Bürger von Welt akzeptiert das Andere, das Fremde. Er ist tolerant, er sieht die Welt als die seinige und gleichzeitig als die der anderen an. Aufgabe der pädagogischen Fachkraft ist es, die Kinder zum Weltbürger zu erziehen. "Wir vermitteln dies den Kindern nicht nur imaginär mit Geschichten, sondern wir laden Personen ein, die die aus ihrem Land und von ihrer Kultur erzählen", ergänzt Kathrin Lange.

Umwelt- und Naturbewusstsein

Handle im Umgang mit Natur und Umwelt so, dass alle noch nach dir Kommenden dein Handeln zu einer allgemeinen Maxime erklären! Dieser Vorsatz dient als eine Art Leitmotiv. Ute Schmidt berichtet, dass sie und ihre Kollegen im Modellprojekt schnell selbst zu der Erkenntnis kamen, ihr Leben in und mit der Natur nachhaltig zu verändern: "Plötzlich haben wir festgestellt: Ich brauche die Plaste nicht mehr. Ich kann die Bausteine statt im Plastewäschekorb auch in einer Holzkiste aufbewahren."

Friedensfähigkeit

Frieden ist nicht nur das Fernsein von Krieg, sondern das Versöhntsein miteinander. Dazu sind soziale Kompetenzen, eine kommunikative Konfliktregelung, ein Denken in sozial gerechten Kategorien usw. notwendig. "Wir erziehen unsere Kinder dazu, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Wir reden mit ihnen darüber und bieten ihnen gewaltfreie Alternativen an", berichtet die Leiterin.

Diese drei großen Werte differenzieren sich in der Kita wiederum in viele kleine (Alltags-) Werte aus: Die Erzieher/innen begrüßen sich sowie die Kinder jeden Morgen mit Händeschütteln und Namen, die Mahlzeiten nehmen die Kinder gemeinsam ein, und der Tisch ist dabei ansprechend gedeckt und geschmückt. Auf einen freundlichen Umgang miteinander, d.h. zwischen Kollegen, zwischen Erzieher/innen und Kindern sowie zwischen den Kindern legt die Kita besonders großen Wert. Alle Mitarbeiter leben dies den Kindern bewusst und täglich vor. Besonders wichtig ist der Einrichtung auch das Leben in der Gemeinschaft, das sich vor allen Dingen in der Gruppenstruktur äußert. "Die Gruppe ist quasi die Familie. Die Kinder lernen die Bedürfnisse von anderen kennen. Indem sie tagtäglich mit den gleichen Menschen umgehen, entwickeln sie ein besseres Gespür dafür", erläutert Kathrin Lange. In der Umbruchphase der Kita war es damals eine bewusste Entscheidung, nicht nach dem offenen Konzept zu arbeiten. Vorwiegend, um den Bedürfnissen behinderter Kinder gerecht zu werden, die einen engen Rahmen und einen intensiven Umgang mit ihren Bezugspersonen benötigen. "Gerade für unsere Integrationskinder bedeutet die Gruppe Sicherheit und Schutz, um sich dann wieder nach außen öffnen zu können", erläutert die Leiterin. Die Wichtigkeit der Gruppe zeigt sich auch daran, dass es in keinem der Gruppenräume ein Telefon gibt. In der Gruppenzeit ist die pädagogische Fachkraft für die Kinder und das dortige Geschehen da, für sonst niemanden.

Drei lebensbezogene Arbeitsformen

"Bei uns gilt: draußen vor drinnen. Wir holen uns nicht die Sachen ins Haus, sondern wir gehen nach draußen und schauen uns den Wald an, besuchen ein Sägewerk usw.", beschreibt Kathrin Lange die Arbeit mit den Kindern. Dies entspricht im lebensbezogenen Ansatz dem Grundsatz des Er-Lebens. Die Kinder machen vor einer thematischen Auseinandersetzung ihre eigenen Erfahrungen, erleben die Welt, die Menschen usw. dabei hautnah und aktiv. "Wir sagen nicht einfach im November fängt der Winter an. Wir befassen uns erst mit dem Schnee, wenn er da ist. Was ist Schnee? Warum taut er? Erst kommt das Erleben, dann erarbeiten sich die Kinder das Thema. Das ist nachhaltige Pädagogik", beschreibt Ute Schmidt das Er-Leben.

Neben dem Er-Leben arbeitet die Kita mit den Methoden Projektarbeit, Aktivitätsangebote und Freispiel. In jeder Gruppe findet immer ein Projekt statt. Diese zeigen sich sofort beim Betreten der Gruppenräume: durch Plakate, Bücher, Ausstellungsobjekte, Dokumentationen wie gemalte Bilder o.Ä. Die Projektidee kommt in der Regel von der pädagogischen Fachkraft, im Idealfall stimmen deren Vorstellungen und die Ideen der Kinder überein. "Natürlich beobachten die Kollegen im Vorfeld die Kinder und greifen deren Ideen mit auf", bekräftigt Kathrin Lange. Neben der Projektarbeit bietet die pädagogische Fachkraft ergänzend projektunabhängige Aktivitäten an. "Die Fachkraft unterstützt die Kinder dabei, gewisse Fähigkeiten zu erwerben. Sie orientiert sich entsprechend der Bildungskonzeption Mecklenburg-Vorpommerns am Alter und Entwicklungsstand der Kinder. Sie sucht Aktivitäten heraus, die sie außerhalb eines Projektes zusätzlich gestalten will, und stellt das als Angebot in den Raum", erläutert Ute Schmidt. Das Aktivitätenangebot ist den Kindern freigestellt, und sie können selbstbestimmt daran teilnehmen. Die dritte Arbeitsform, das Freispiel, nutzt die Fachkraft zur Beobachtung und um mit den Kindern - sozusagen als gutes Vorbild - etwas zu unternehmen. D.h. sie spielt, klettert, spricht, hüpft, freut sich mit ihnen usw. Diese engagierte Beteiligung im Freispiel zeigt für die Kinder den größten Erfolg, wenn die Fachkraft an das Erleben anknüpft. Das Rollenspiel "Bäcker" ist bspw. tiefgründiger, wenn die Kinder zuvor selbst eine Bäckerei besucht haben und später im Spiel mit den Fachkräften ihre erlebten Rollen erproben können.

Die Rolle der pädagogischen Fachkraft

Wie im Freispiel so ist die Fachkraft im lebensbezogenen Ansatz für die Kinder immer und überall ein Vorbild. Sie begleitet die Kinder pädagogisch: Sie ist interessierte Beobachterin, qualifizierte Diagnostikerin, feinfühlige und wirksame Anregerin und Förderin. Sie plant ihr pädagogisches Vorgehen, bleibt dabei jedoch offen. Der lebensbezogene Ansatz spricht hier von offener Planung. Gegenüber den Kindern agiert die Fachkraft partnerschaftlich: Sie geht mit ihnen so um, wie sie es selbst wünscht, dass mit ihr umgegangen wird. Dazu gehört auch: "Sich gegenseitig in die Pflicht zu nehmen: Schau mal, was du selbst gerade tust und was du von den Kindern erwartest", berichtet Ute Schmidt aus dem Alltag.

Werte sind einem ständigen Wandel unterworfen, und so ändern sich auch eigene Werthaltungen. "Wie müssen immer wieder darauf achten, dass uns bestimmte Werte nicht verloren gehen. Sich gegenseitig akzeptieren, achten und unterstützen, daran muss man unwahrscheinlich arbeiten. Viele Menschen nehmen sich selbst sehr wichtig und achten weniger auf den anderen. Erst komme ich, dann komme ich noch einmal und erst dann schaue ich, ob es dem anderen gut geht", beschreibt Ute Schmidt aus ihrer Sicht den Wertewandel. Sie bemängelt auch den Verlust von Solidarität und von Hilfeleistungen für arme Länder. "So etwas muss immer wieder angeregt werden. Und ja, da spielt natürlich die Vorbildrolle der Erzieherin eine wichtige Rolle", erklärt sie. Neue Mitarbeiter bekommen einen Mentor an die Hand, der sie in das tägliche Leben der Kita einführt - ganz lebensbezogen. Zudem erhalten sie bei Einstellung statt einem Blumenstrauß ein Buch von Norbert Huppertz. Generell tauscht sich das Team immer wieder aus, um den Lebensbezug neu auszuhandeln und zu diskutieren.

Kurz-Infos zur Einrichtung

Träger: Kinderwelt Wismar e.V.
Konzept: Lebensbezogener Ansatz nach Norbert Huppertz
Räumlichkeiten: Gruppenräume, Sport-/Therapieraum, Töpferwerkstatt, Holzwerkstatt, Maleratelier, Kinderküche und Kinderrestaurant, Kinderbibliothek, Atrium, großes Außengelände
ca. 180 Plätze für 0- bis 6-jährige Kinder, 6 Integrations- und 4 Regelgruppen
Mehr Informationen: www.kinderwelt-wismar.de/plappersnut-integrative-kindertagesstaette

Mehr Infos zum Lebensbezogenen Ansatz unter www.lebensbezogener-ansatz.de und unter www.wibeor-baden.de/huppertz/lebensbezogene_ansatz.htm