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Zitiervorschlag

Gemeinsame Bildung für Alle von Anfang an: die UN-Behindertenrechtskonvention

Reinald Eichholz

 

"Gemeinsame Bildung für Alle von Anfang an" ist die Variation eines großen Themas. Das Thema heißt: "Recht auf Teilhabe". Nun gibt es viele bedeutsame Rechte; wie aber hat es das Recht auf Teilhabe geschafft, in die Höhen der Menschenrechte aufzusteigen?

Teilhabe - ein Menschenrecht

Zur Erklärung ziehe ich einen originellen Buchtitel heran: "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?". Richard David Precht ist es hier gelungen, eine uns allen geläufige Alltagserfahrung in verblüffende Worte zu fassen: die Erfahrung nämlich, dass wir Beziehungswesen sind, die in der Vielfalt der Beziehungen, in denen wir leben, ganz unterschiedliche Züge annehmen. Wir erleben uns auch noch im Erwachsenenalter als Kind unserer Eltern. Wiederum anders sind wir selbst als Eltern oder als Großeltern. Vor allem in der Partnerschaft lernen wir unterschiedlichste Seiten von uns kennen, diese und jene. Ebenso in Geselligkeit und Beruf usw. Da erfahren wir mehr über uns als nur, dass wir jeweils unterschiedliche Rollen spielen - wir erleben im Spiegel des Anderen reale Seiten unseres eigenen Wesens.

Martin Buber (Elemente des Zwischenmenschlichen) hat dies als existenzielle Grunderfahrung beschrieben: "Der Mensch ist nicht in seiner Isolierung, sondern in der Vollständigkeit der Beziehung zwischen Mensch und Mensch anthropologisch existent. Erst die Wechselwirkung ermöglicht hier ein zulängliches Bild des Menschen… Dass jeder Mensch in sich die Bestimmung trägt, das rechte Menschsein auf seine besondere, ihm allein eigentümliche Art zu erlangen", kann man als den "eingeborenen Sonderzweck" jedes Menschen fassen. Aber "irreführend ist,… nur von der Individuation allein zu sprechen. Diese bedeutet nur das personhafte Gepräge aller Verwirklichung des Menschseins… Erst in zwei Menschen… erst da stellt sich die Herrlichkeit des Wesens Mensch zulänglich dar".

Teilhabe in der Beziehung zu anderen Menschen ist deshalb ein Wesensmerkmal unserer Individualität. Die äußere Erscheinung, in der wir uns entgegentreten, täuscht; erst wenn wir die Vielfalt der Beziehungen, an denen wir teilhaben, hinzu nehmen, haben wir den Menschen in der Vollständigkeit seiner Existenz vor uns.

Wenn die Charta der Vereinten Nationen vom 26.06.1945 vom "Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit" spricht, müssen wir dieses umfassende Menschenverständnis zu Grunde zu legen. Würde verlangt wechselseitige Anerkennung als Individualität, wie sie in der zwischenmenschlichen Beziehung lebt. Deshalb ist Teilhabe an diesen Beziehungen Menschenrecht und deren Behinderung Menschenrechtsverstoß.

Substanziell ist dies mit dem Recht auf Selbstbestimmung verbunden, "einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen", wie die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) betont. Immer ist es dem Menschen selbst vorbehalten, ob und wie er von seinen Rechten Gebrauch macht. Die zwangsweise "Beglückung" durch Gemeinschaft (z.B. die Zwangsehe) ist ebenso ein Menschenrechtsverstoß wie die zwangsweise Ausgliederung (z.B. die Ausbürgerung).

Die Menschenrechte als Entwicklungsprojekt

Diesen Rückbezug des Teilhaberechts auf die UN-Charta von 1945 gilt es im Auge zu behalten, wenn man auf die Menschenrechtsentwicklung seither blickt. Es folgten die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 und dann weitere Ausformulierungen von Menschenrechten, die sich vor diesem Hintergrund sämtlich als Konkretisierungen der von Anbeginn geltenden Menschenrechte verstehen lassen - insbesondere die Internationalen Pakte über bürgerliche und politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966, Antidiskriminierungsübereinkommen, die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 und nun 2006 die UN-Behindertenrechtskonvention. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist unter diesem Gesichtspunkt kein "neues Recht", sondern eben eine Verdeutlichung seit langem grundgelegter Menschenrechte - Ausformulierungen freilich für den besonderen Personenkreis von Menschen mit Behinderungen, weil die Tragweite der Menschenrechte hier präzisierungsbedürftig war. So fügt sich die UN-Behindertenrechtskonvention in das sich entwickelnde System der Menschenrechte ein, das auch weiterhin in Bewegung bleiben und notwendige Präzisierungen erhalten wird.

Die Kernregelungen der Behindertenrechtskonvention

Die 'systemische' Verbindung der Menschenrechtspakte untereinander erkennt man - abgesehen von der Bezugnahme in der Präambel - an den zahlreichen inhaltlichen Gemeinsamkeiten. Die Pakte von 1966 und insbesondere die UN-Kinderrechtskonvention haben bis in Einzelformulierungen hinein deutliche Spuren in der UN-Behindertenrechtskonvention hinterlassen. Daher kann auch in der rechtlichen Interpretation auf die früheren Übereinkommen zurückgegriffen werden.

Im Folgenden sollen die Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention, die die Teilhabe im Bildungswesen betreffen, in den Mittelpunkt rücken. Von besonderer Bedeutung sind hier

Art. 1 mit dem grundsätzlichen Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft,

Art. 3 als Rückbezug auf die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde und Autonomie,

Art. 4 mit seinen zahlreichen Allgemeinen Verpflichtungen und dem besonderen Hinweis in

Abs. 1 e auf Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung aufgrund von Behinderung und in

Abs. 2 auf die Verpflichtung jedes Vertragsstaats, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel zu verwirklichen,

Art. 5 mit dem Recht auf Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung,

Art. 7 Abs. 2 durch (wortgleiche) Übernahme des Vorrangs der Kinderinteressen aus der UN-Kinderrechtskonvention,

und vor allem

Art. 24,

Abs. 1 mit der Anerkennung des Rechts auf Bildung und der Pflicht zur Gewährleistung eines inklusiven Bildungssystems auf allen Ebenen,

Abs. 1 a mit der Verpflichtung, die Würde des Menschen nicht nur objektiv zu achten, sondern zugleich dafür Sorge zu tragen, dass sich "das Bewusstsein der Würde" und das "Selbstwertgefühl" auch subjektiv im einzelnen Menschen empfindungsmäßig voll entfalten kann,

Abs. 1 b durch Achtung der menschlichen Vielfalt und deren Entfaltung ("Diversity-Ansatz"),

Abs. 1 c dem Recht auf "wirkliche" Teilhabe an einer freien Gesellschaft,

Abs. 2 a durch das Verbot des Ausschlusses von Menschen mit Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem,

Abs. 2 b Gewährleistung des Zugangs zu inklusivem Unterricht,

Abs. 2 c Gestellung angemessener Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen,

Abs. 2 d notwendige Unterstützung innerhalb des allgemeinen Bildungssystems und

Abs. 2 e wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet.

Sieht man in diesen Regelungen Präzisierungen substantiell bereits gegebener Menschenrechte, so muss es nicht verwundern, dass wir diese Substanz auch bereits in der UN-Kinderrechtskonvention vorfinden. Dort heißt es in Art. 23: "Die Vertragsstaaten erkennen an, dass ein geistig oder körperlich behindertes Kind ein erfülltes und menschenwürdiges Leben unter Bedingungen führen soll, welche die Würde des Kindes wahren, seine Selbständigkeit fördern und seine aktive Teilnahme am Leben der Gemeinschaft erleichtern."

Gerade im Bildungsbereich stützen sich die Konventionen gegenseitig. Die Behindertenrechtskonvention kann als weiterführende Interpretation der Kinderrechtskonvention verstanden werden. Umgekehrt ist die Kinderrechtskonvention eine wesentliche Grundlegung für die Behindertenrechtskonvention im Verständnis des Kindes als eigenständige Persönlichkeit mit den Rechten auf Schutz, Förderung und Partizipation.

Bei dieser umfänglichen Verankerung des Rechts auf Teilhabe erscheinen kaum Zweifel möglich, das Recht auf eine Schule für alle ohne Rücksicht auf Art oder Grad einer Behinderung sei umfassend geregelt und klar ausgesprochen. Doch das Völkerrecht hat seine Eigentümlichkeiten. Nicht selten wird es im gesellschaftlichen Diskurs und in der praktischen Politik eher als inhaltliches Programm denn als verbindliches Recht gesehen. Am 24.03.2009 hat die SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen einen Antrag zur inklusiven Bildung eingebracht mit vielen interessanten Ansätzen; aber die Bezugnahme auf die UN-Behindertenrechtskonvention beschränkt sich im Ergebnis auf die Feststellung: "Notwendig ist deshalb eine Neuorientierung in der sonderpädagogischen Förderung, die die gegenwärtige integrative Phase als Übergangsphase zu einem vollständig inklusiven Bildungssystems des gemeinsamen Lernens bis zum Ende der Pflichtschulzeit betrachtet" - eine eher politische als rechtliche Zukunftsperspektive (Drucks. 14/8879). Von da her ist es nur verständlich, dass das Gewicht völkerrechtlicher Übereinkommen im allgemeinen Rechtsbewusstsein, wenn man vom Kreis der besonders Interessierten absieht, fast keine Rolle spielt.

Die Staatenpflichten

Das hängt vornehmlich damit zusammen, dass völkerrechtliche Übereinkommen nicht Gesetzgebung in dem uns geläufigen Sinne sind, sondern Vertragsrecht. Verträge gelten nun einmal zunächst ausschließlich unter den Vertragsschließenden. Völkerrechtliche Verträge begründen deshalb in erster Linie Staatenpflichten der Vertragsstaaten untereinander. Darauf stellen auch die in den Übereinkommen vorgesehen Sanktionen oder - wie in der UN-Kinderrechtskonvention und der UN-Behindertenrechtskonvention - die Berichtspflichten und Dialogverfahren gegenüber den Ausschüssen der Vereinten Nationen in Genf ab.

Der Inhalt der übernommenen Staatenpflichten wird gewöhnlich durch drei Grundbegriffe charakterisiert: die Pflichten to respect, to protect und to fulfill - also die Achtung vor den Menschenrechten und das Unterlassen entgegenstehenden staatlichen Handelns, die Abwehr menschenrechtswidrigen Verhaltens Dritter sowie die Entwicklung einer konventionskonformen gesellschaftlichen Infrastruktur.

"Inclusive education system"

In diese Systematik lassen sich die nach der Behindertenrechtskonvention übernommenen Staatenpflichten einordnen, allem voran die Anerkennung des Rechts jedes Kindes auf Teilhabe am allgemeinen Schulwesen unabhängig vom Vorliegen einer Behinderung. Flankiert wird dieses Recht durch das Verbot der Diskriminierung durch Ausschluss vom allgemeinen Unterricht aufgrund einer Behinderung. In dieser unmittelbaren Verknüpfung des Diskriminierungsverbots mit der Gewährleistung inklusiver Bildung liegt eine Grundwertentscheidung, die die ganze Konvention durchzieht: Die Verweigerung inklusiver Bildung betrachtet die Konvention als gleichbedeutend mit Diskriminierung. Folgerichtig verlangt sie den Aufbau eines inklusiven Bildungssystems als notwendige Vorkehrung, um im Bildungswesen diskriminierungsfreie Verhältnisse zu schaffen. Das ist mehr als "Integration". Verschleiert wird dies, wenn die Bundesregierung in ihrer nichtamtlichen Arbeitsfassung der Konvention "inclusive education system" mit "integrativ" übersetzt. Zutreffend heißt es in dem SPD-Antrag: "Ein solches inklusives Bildungssystem unterscheidet sich von einem integrativen System. Die integrative Pädagogik strebt die Eingliederung der aussortierten Schülerinnen und Schüler an. Eine inklusive Pädagogik hingegen sortiert erst gar nicht aus. Inklusion bedeutet, dass Strukturen und Didaktik von vornherein auf die Unterschiedlichkeit der Schülerinnen und Schüler und individuelles Fördern und Fordern ausgerichtet sind."

Unübersehbar ist freilich, dass die Konvention hier eine duty to fulfill ausspricht. Zwar ist das ein verpflichtendes Optimierungsgebot, die Umsetzung schrittweise weiter zu treiben und darüber dem UN-Ausschuss zu berichten. Wenn Art. 35 aber ausführt, darzustellen habe jeder Vertragsstaat "die Maßnahmen, die er zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Übereinkommen getroffen hat, und über die dabei erzielten Fortschritte", so ist dies Ausdruck des beträchtlichen politischen Ermessens, das den Vertragsstaaten im Einzelnen bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen zusteht. Das kann dauern! Insoweit unterscheidet sich die duty to fulfill grundsätzlich von den anderen Staatenpflichten.

Einsatz aller verfügbaren Mittel

Gerade bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten, und dazu zählt das Recht auf Bildung, scheint eine weitere Regelung die praktische Bedeutung der staatlichen Verpflichtungen weiter zu relativieren. Art. 4 bindet die Umsetzung der Konvention nämlich (anders als bei den bürgerlichen und politischen Rechten) an die Bedingung der Finanzierbarkeit. Wenn dabei die Rede davon ist, diese Rechte seien unter "Ausschöpfung der verfügbaren Mittel" zu verwirklichen, meint dies allerdings keineswegs die Bindung an den üblichen Haushaltsvorbehalt, der die Leistungen auf das im Haushaltsplan vorgesehene Volumen begrenzt. Es verpflichtet die Vertragsstaaten vielmehr, wie der UN-Ausschuss in seinen General Comments klarstellt, zu einer umfassenden Überprüfung seines gesamten Ausgabeverhaltens und der dabei vorgenommenen Prioritätssetzungen. Sicherlich verbleiben auch hier weiteste politische Gestaltungsspielräume, und der Ausschuss wird es vermeiden, das souveräne Haushaltsrecht der Staaten in Frage zu stellen. Allein die Tatsache, dass die Staaten hier Rede und Antwort stehen müssen, bewirkt aber, dass die getroffenen Haushaltsentscheidungen offen gelegt und diskutierbar werden.

Vorrang des Kindeswohls

Bei all diesen Entscheidungen ist das Wohl des Kindes sowohl nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention als auch nach Art. 7 der Behindertenrechtskonvention (übereinstimmend übrigens auch mit der EU-Grundrechtecharta) mit Vorrang zu berücksichtigen. Dies verlangt von allen Entscheidungsträgern eine konkrete Abwägung der vorliegenden Interessen mit denen der Kinder. Über die übliche Abwägung unterschiedlicher Belange geht dies hinaus, denn den Kinderinteressen ist in diesem Abwägungsprozess in nachprüfbarer Weise Vorrang einzuräumen. Das muss nicht heißen, dass sich die Belange der Kinder in jedem Fall durchsetzen - dann muss sich aber in einer Gesamtbetrachtung ergeben, dass andere Interessen in der Summe von so großem Gewicht sind, dass sie überwiegen, obwohl die Kinderinteressen mit Vorrang berücksichtigt wurden.

So kann deutlich werden, dass die Staatenverpflichtungen bei aller Ermessensfreiheit keineswegs bloßes Programm sind, sondern fest umrissene Rechtspflichten. Staatenverpflichtungen sind objektives Recht und als solches verbindlich.

Geltung des Völkerrechts in Bund und Ländern

Behält man in Erinnerung, dass dies zwischenstaatliche Verpflichtungen der Vertragsstaaten sind, so wird klar, dass damit noch nicht gesagt ist, dass diese Pflichten auch innerstaatliche Geltung besitzen. Das deutsche Grundgesetz folgt in Art. 59 Abs. 2 bei dieser Frage einer dualistischen Sichtweise, die Völkerrecht als Regelung der Außenbeziehungen und nationales Recht als innerstaatliches Ordnungsgefüge auseinander hält. Es macht vom Grundsatz her die innerstaatliche Geltung von einer Transformation des Völkerrechts in nationales Recht abhängig. Dafür genügte also nicht, dass die Behindertenrechtskonvention am 13.12.2006 von den Vereinten Nationen angenommen, am 03.04.2008 nach Hinterlegung der 20. Ratifikationsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen als Völkerrecht gültig und schließlich nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde der Bundesrepublik Deutschland am 26.03.2009 auch für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich wurde. Es bedurfte zusätzlich eines Zustimmungsgesetzes, das der Deutsche Bundestag am 04.12.2008 beschloss, und dem der Bundesrat dann am 19.12.2008 zugestimmt hat. Danach gilt nun die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland als Bundesrecht und verpflichtet die staatlichen Organe zu deren Einhaltung.

Da allerdings wirft Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention eine Zusatzfrage auf. Denn infolge unserer föderalen Gliederung in Bund und Länder kann ein vom Bund beschlossenes Transformationsgesetz im Rahmen der gegebenen Zuständigkeitsverteilung auch nur den Bund selbst binden. Gerade das Bildungswesen ist aber Ländersache. Auch wenn die BRK in Art. 4 zum Ausdruck bringt, dass die Bestimmungen dieses Übereinkommens "ohne Einschränkung oder Ausnahme für alle Teile eines Bundesstaates" gelten sollen, so unterstreicht dies nur den möglichen Konflikt, dass der Bund nach außen Verpflichtungen eingeht und verantwortlich umsetzen soll, für die er innen gar nicht zuständig ist. Denn diese vom Bund ausgehandelte Bestimmung kann die originäre Zuständigkeit der Länder nicht aushebeln; die Länder selbst müssen tätig werden.

Dies ist indessen ein Dilemma nicht nur im Zusammenhang mit der Behindertenrechtskonvention. Es betrifft alle Gesetzgebungsgegenstände, für die die Länder ausschließlich zuständig sind. Sie selbst müssen zustimmen. Da der Bundesrat als "Länderkammer" - formal gesehen - ein Gesetzgebungsorgan des Bundes ist, kann dessen Beteiligung nicht ausreichen, auch wenn sich die Länder nach Zustimmung im Bundesrat sicher den Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens gefallen lassen müssten, wenn sie im Bundesrat zustimmen, sich dann aber weigern, ihren Anteil an der Umsetzung zu übernehmen. Um hier Streit zu vermeiden, ist seit langem durch das sog. "Lindauer Abkommen" vom 14.11.1957 Vorsorge getroffen, dass die Länder rechtzeitig in den Zustimmungsprozess einbezogen werden. Das ist auch im Fall der UN-Behindertenrechtskonvention geschehen, so dass die Staatenverpflichtungen aus Art. 24 BRK auch von den Ländern zu erfüllen sind. Ihre duty to respect verlangt die Anerkennung des Bildungsrechts ohne jede Diskriminierung; der duty to protect entsprechend müssen sie der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung entgegentreten; und schließlich stehen sie - als duty to fulfill - vor der Aufgabe, ein inklusives Bildungssystem zu schaffen und den Gesamtbestand schulischer Regelungen auf dieses Ziel auszurichten. Auch die Länder sind folglich durch objektiv-rechtliche Verpflichtungen gebunden - für deren Erfüllung die üblichen schulpolitischen Absichtserklärungen nicht ausreichen.

Individualansprüche durch Völkergewohnheitsrecht

Wenn danach die rechtliche Geltung der BRK als Staatenverpflichtung zwischenstaatlich und innerstaatlich gesichert ist, bleibt doch die wichtige Frage, ob eigentlich die unmittelbar betroffenen Menschen mit Behinderungen auch persönlich von diesen Rechten Gebrauch machen können. Mit anderen Worten, ob dem objektiven Recht auch subjektive Rechte entsprechen.

Für diese Frage ist von Interesse, dass die innerstaatliche Geltung des Völkerrechts nicht nur durch Transformation entstehen kann. Es gibt von diesem Grundsatz gewichtige Ausnahmen. So besagt Art. 25 des Grundgesetzes, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ohne Umsetzungsakt Bestandteil des Bundesrechts sind und "Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes" erzeugen. Danach könnte man annehmen, dass die Rechte aus der UN-Behindertenrechtskonvention dem Kind individuell und einklagbar zustehen, wenn sie denn zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zählen würden. Zu diesen Regeln gehört neben den allgemeinen Rechtsgrundsätzen wie etwa dem, dass Verträge einzuhalten sind, vor allem das Völkergewohnheitsrecht. Es entsteht, wenn universelle Rechtsüberzeugungen über lange Zeit, wenn auch nicht lückenlos, doch so verbreitet und beständig geübt wurden, dass sie wie "gesetztes Recht" angesehen werden können.

Die Achtung der Menschenwürde zählt dazu ebenso wie das in aller Welt anerkannte Verbot der Diskriminierung, auch wenn nur zu oft im praktischen Leben der Völker dagegen verstoßen wird. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die UN-Behindertenrechtskonvention könnte allein schon aus der Tatsache, dass sie erst 2006 beschlossen wurde, gefolgert werden, dass es sich nicht um Völkergewohnheitsrecht handeln könne. Doch Menschenwürde und Diskriminierungsverbot zeigen, dass Verträge nicht notwendig konstitutiv für bestimmte Rechte sein müssen, sondern dass sie einfach auch ("deklaratorisch") lange in Geltung befindliches Recht wiedergeben können. Das ist hinsichtlich der Menschenwürde und des Nichtdiskriminierungsgebotes in der UN-Behindertenrechtskonvention sicherlich der Fall, auch wenn wir nur langsam begriffen haben und noch weiter dazu lernen müssen, was das für Menschen mit Behinderungen bedeutet.

Hinsichtlich des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 5 BRK ist von besonderer Bedeutung, dass die Konvention hier eine konkret Verbindung zu den vereinbarten Rechten ("akzessorisches Diskriminierungsverbot") herstellt. Die Rechte sind so zu gewähren, dass bei ihrer Verwirklichung ungerechtfertigte Ungleichbehandlung ausgeschlossen wird. Die Behindertenrechtskonvention fordert dies, indem sie den Schutz vor Diskriminierung nach Art. 5 BRK mit dem Recht auf Bildung verbindet und dabei die grundlegende Wertentscheidung trifft, dass der Ausschluss von inklusivem Unterricht aufgrund einer Behinderung in jedem Fall eine Diskriminierung darstellt.

Darin kann man eine gewohnheitsrechtliche Verankerung des Diskriminierungsschutzes bei der Gewährleistung des Rechts auf Bildung sehen. Dies zu achten und zu verteidigen, gilt nach Art. 25 GG unmittelbar als Bundesrecht. Für die Länder ergibt sich die Geltung unabhängig von der vorliegenden Zustimmung durch die Verpflichtung zu bundesfreundlichem Verhalten in Verbindung mit der Tatsache, dass sie selbst ausnahmslos den Nichtdiskriminierungsgrundsatz in ihre Verfassungen aufgenommen haben. Die Verweigerung des Zugangs zum allgemeinen Bildungswesen aufgrund einer Behinderung lässt sich damit als Verstoß gegen das Völkergewohnheitsrecht verstehen, dem im konkreten Fall das subjektive Recht entspringt, sich gegen die damit verbundene Ausgrenzung zu wehren.

Ein Abwehrrecht also - aber kann das Völkergewohnheitsrecht auch positiv einen Anspruch auf inklusive Bildung begründen? In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die Rechte aus Art. 24 BRK durchaus kein "neues Recht" sind. Denn substantiell sind sie letztlich Ausformungen des "alten" Rechts auf Teilhabe jedes Menschen an der Gemeinschaft. Man sollte den Gedanken des Völkergewohnheitsrechts daher nicht allein wegen der kurzen Geltungsdauer der Konvention von der Hand weisen.

"Self-executing-treaty-provisions" - Das Vorranggebot des Art. 7 BRK

Eine weitere Ausnahme vom Transformationserfordernis findet sich bei völkerrechtlichen Vertragsbestimmungen, die als self-executing ("selbst-vollziehend") vereinbart sind. Das trifft für Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge zu, die bei objektiver Auslegung so abgefasst wurden, dass sie geeignet sind, Grundlage der Entscheidung eines innerstaatlichen Rechtsanwendungsorgans zu sein, ohne dass eine nähere Ausgestaltung der Norm erforderlich ist. Dann handelt es sich um unmittelbar anzuwendendes Recht, auf das sich ohne besonderen Umsetzungsakt jedermann berufen kann.

In unserem Zusammenhang gilt das für das mit Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention übereinstimmende Vorranggebot in Art. 7 Abs. 2 BRK. Die Verpflichtung, das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderung betreffen, als vorrangigen Gesichtspunkt zu berücksichtigen, enthält eine eindeutige und anwendungsfähige Verfahrensmaxime, deren Verletzung Rechtswidrigkeit, d.h. gerichtliche Anfechtbarkeit, begründet. Und da der Bürger einen Anspruch auf ordnungsgemäßes Verwaltungshandeln hat, kann er diesen Mangel als Verfahrensrüge auch vor Gericht geltend machen. Dabei mag der Hinweis der Kinderrechtskonvention, dass dieses Verfahrenserfordernis für alle Maßnahmen gilt, "gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden", den Geltungsumfang auch der Behindertenrechtskonvention verdeutlichen.

Für die Ausrichtung schulpolitischer, schulorganisatorischer und schulaufsichtlicher Maßnahmen und nicht zuletzt für die Prozesse bei der Schulgesetzgebung ist Art. 7 Abs. 2 BRK also eine bindende Verfahrensvorgabe. Stets ist im Rahmen der anstehenden Abwägungsprozesse schlüssig darzutun, dass das Wohl der Kinder konkret in den Vordergrund gestellt wurde und dem beispielsweise auch fiskalische Gesichtspunkte nachgeordnet wurden.

Als Ermessensvorgabe wirkt sich hier ergänzend die Wertentscheidung der Konvention aus, dass diskriminierungsfreie Bildung für Kinder mit Behinderung das Recht auf das gemeinsame Leben und Lernen aller Kinder in einer Schule einschließt. Sie schränkt das Ermessen der Behörde ein. Dem Staat ist es verwehrt, von sich aus festzustellen, dass Inklusion für ein Kind mit Behinderung ungeeignet sei, auch wenn nicht jedes Kind dieses Recht in Anspruch nehmen wird; sein vorrangiges Interesse mag in einer frei gewählten anderen Einrichtung besser gefördert werden.

So gibt es keinen Gesichtspunkt, der dem Kindeswohl übergeordnet werden dürfte, um das Recht auf Inklusion zu verneinen. Nur wenn es um Interessen der Kinder untereinander geht, können Situationen eintreten, die gemeinsames Leben und Lernen verhindern. Denn das Wohl aller anderen Kinder ist mit gleichem Recht wie das von Kindern mit Behinderung zu berücksichtigen, und da kann es im Einzelfall sein, dass etwa Aggressivität oder unablässige Störung die Gemeinsamkeit aktuell sprengen - ein Problem allerdings, das nicht primär mit der Behinderung zu tun hat, sondern auch bei Kindern ohne Behinderung vorkommen kann.

Keinesfalls rechtfertigt die Unterschiedlichkeit der Begabungen die Verweigerung des Rechts auf Inklusion mit der Begründung, das Wohl "begabterer" Kinder müsse sonst hinter dem der "weniger begabten" zurückstehen. Dem Diversity-Ansatz entsprechend macht gerade die Anerkennung der Vielfalt von Intelligenzen den Kern der Inklusion aus. So ist es Sache der Institutionen, durch pädagogische Phantasie, durch sinnvolle Klassengrößen, ausreichendes Lehrpersonal und unterstützende Maßnahmen Wege zu finden, um auch im "zieldifferenten" Unterricht alle Kinder ihren Begabungen gemäß zu erreichen und zu fördern.

Individualansprüche durch individualschützendes Völkervertragsrecht

Führen die "self-executing-treaty-provisions" hier zu unmittelbar anzuwendendem Verfahrensrecht, so bedeutet dies doch nicht notwendig, dass das auch Rechte auf bestimmte Leistungen beinhaltet, die der Einzelne von sich aus in Anspruch nehmen und im Klagewege einfordern könnte. Es kann bei bloßen Rechtsreflexen der objektiven Staatenverpflichtungen bleiben, ohne dass subjektive Ansprüche begründet werden. Leistungsansprüche entstehen im Allgemeinen tatsächlich erst, wenn der Staat das Völkerrecht im Wege der Transformation in konkrete Ansprüche umgesetzt hat.

Gerade im Bereich der Menschenrechte gibt es aber eine weitere gewichtige Ausnahme von diesem Transformationsprinzip, und zwar dann, wenn die Vertragsstaaten ein Übereinkommen so gestaltet haben, dass nicht nur die zwischenstaatlichen Verhältnisse geregelt werden, sondern (zugleich) die von dem Übereinkommen betroffenen einzelnen Individuen begünstigt werden sollen. Während "traditionelle" Völkerrechtsverträge sich auf die zwischenstaatliche Gegenseitigkeit beschränken, haben Menschenrechtsverträge in der Regel gerade den Sinn, die Rechtsstellung des einzelnen Menschen individualschützend zu verbessern. So erschöpft sich auch die UN-Behindertenrechtskonvention nicht in der zwischenstaatlichen Garantie der Rechte von Menschen mit Behinderungen, sondern bezweckt den individuellen Schutz behinderter Menschen und die Verbesserung ihrer Rechtsstellung innerhalb der Vertragsstaaten.

Dieser individualschützende Charakter kann freilich nur dann zu unmittelbaren subjektiven Ansprüchen führen, wenn die betreffende Bestimmung auch aus sich heraus anwendungsfähig, mithin wiederum self-executing, ist. Davon kann man nicht ausgehen, wenn es an hinreichender Klarheit fehlt oder Ermessensspielräume bestehen, die erst durch einen konkretisierenden Akt einer Behörde gefüllt werden müssen. Dann bedarf es zusätzlicher Umsetzungsakte, die unmittelbare Anwendbarkeit unmöglich machen und deshalb einen subjektiven Anspruch ausschließen.

Die Rechte nach Artikel 24 BRK

Der Ausgangspunkt ist an dieser Stelle erneut der Nichtdiskriminierungsgrundsatz in Verbindung mit der Wertentscheidung, dass nur ein inklusives Bildungssystem diskriminierungsfrei ist. Die Konvention verdichtet den Diskriminierungsschutz so, dass nur die Gewährung spezifischer Leistungen diskriminierungsfreie Bildung gewährleistet. Überall, wo die Regelungen so eindeutig gefasst sind, dass unmittelbare Anwendungsfähigkeit im Interesse des Einzelnen besteht, handelt es sich also auch um unmittelbar anzuwendendes Recht, und zwar infolge des "Lindauer Abkommens" anzuwenden auch in den Bundesländern.

Das allgemeine Recht auf Bildung ist abstrakt. Es könnte die notwendige Bestimmtheit allenfalls ex negativo haben, wo einem Kind jeglicher Zugang zur schulischen Bildung verwehrt wird, eine Fallgestaltung, die die aktuelle Debatte immerhin berührt, wenn einem Kind die "Bildungsfähigkeit" überhaupt abgesprochen wird. Ansonsten fehlt dem Recht auf Bildung die notwendige Konkretheit.

Auch die Gewährleistung eines inklusiven Bildungssystems kann nicht als hinreichend bestimmt angesehen werden, um individuelle Ansprüche zu begründen. Sie richtet sich vornehmlich an den Staat, und es unterliegt weitem politischem Ermessen, wie und in welchen Schritten diese Verpflichtung umgesetzt wird.

Nicht anders verhält es sich mit der Verpflichtung, "das Bewusstsein der Würde" und das "Selbstwertgefühl" zu schützen und zu fördern. Auch dies ist eine Maßgabe eher für die zu gewährleistenden Rahmenbedingungen des Lernens und die konkrete pädagogische Arbeit, als dass daraus konkrete Leistungsansprüche folgen könnten. Ähnliches dürfte auch für die Berücksichtigung der Begabungsvielfalt (Diversity-Ansatz) gelten, eine Verpflichtung, die sich in erster Linie an das System als Ganzes richtet. Schließlich erweist sich auch das Recht auf "wirkliche Teilhabe" an einer freien Gesellschaft als zu unbestimmt, auch wenn die Betonung "wirklicher" Teilhabe die Ernsthaftigkeit der Forderung unterstreicht.

Nur dann könnte anderes gelten, wenn der permanente Verstoß gegen das Selbstwertgefühl, die Achtung der individuellen Begabung oder der Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe sich so verdichten, dass unter diesem Gesichtspunkt der Diskriminierung ein einklagbarer Abwehr- und Unterlassungsanspruch entsteht. Doch zusammenfassend muss man sagen, dass es sich bei den in Art. 24 Abs. 1 BRK beschriebenen Rechten im Prinzip um reine Staatenverpflichtungen handelt.

Anders verhält es sich mit Absatz 2. Das Verbot des Ausschlusses von Menschen mit Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem, insbesondere vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen, ist eine unmissverständliche Regelung mit dem Ziel, jedem Kind mit Behinderung das gemeinsame Leben und Lernen in der Gemeinschaft auch mit Kindern ohne Behinderung auf allen Ebenen zu öffnen. Dies ist nicht anders einzulösen als - wie Abs. 2 b sagt - durch die Gewährung gleichberechtigten Zugangs zu inklusivem Unterricht. Jedes Kind mit Behinderungen hat daher das einklagbare Recht, wie alle anderen Kinder eine "Regelschule" zu besuchen. In Art. 24 Abs. 2 a und b BRK sind also individuelle Ansprüche enthalten, die subjektiv auch vor Gericht geltend gemacht werden können.

Diskrepanzen zwischen System und Individualrecht

Bei der Verwirklichung dieser Rechte kann allerdings zum Problem werden, dass die konventionskonforme Umstellung des Bildungssystems den aktuellen Bedürfnissen der Kinder nachhinkt. So kann inklusiver Unterricht für einzelne Kinder gerade deshalb unzuträglich sein, weil die institutionellen Rahmenbedingungen (noch) nicht stimmen. Sowohl an einer behinderungsgerechten Ausstattung als auch an der notwendigen Qualifikation von Lehrerinnen und Lehrern kann es fehlen. Dem dann nahe liegenden Einwand gegen die Aufnahme eines Kindes, in der gegebenen Situation komme es nicht zu seinem Recht oder das Kindeswohl sei unter den herrschenden Bedingungen gefährdet, tritt aber Art. 24 Abs. 2 c entgegen. Er verlangt "angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen". Zwar scheint die Bestimmung, indem sie auf Angemessenheit abstellt, auf den ersten Blick einen Ermessensspielraum zu beinhalten, der ihre unmittelbare Anwendungsfähigkeit ausschließt. Die Konvention selbst trifft an dieser Stelle jedoch Vorsorge, indem sie in Art. 2 durch eine spezielle Begriffsbestimmung klärt, was gemeint ist. Danach sind angemessene Vorkehrungen "notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen, wenn sie in einem bestimmten Fall benötigt werden, um Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen den Genuss und die Ausübung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten". Dies sind sämtlich zwar unbestimmte, aber doch im Wege der Auslegung ermittelbare Anforderungen, die hinreichen, um die Anwendbarkeit der Norm sicherzustellen: Statt das Kind zurückzuweisen, ist die Schule verpflichtet, durch die "angemessenen Vorkehrungen" dafür zu sorgen, dass das Recht des Kindes auf inklusive Bildung verwirklicht werden kann.

In demselben Sinne lassen sich auch Art. 24 Abs. 2 d und Abs. 2 e mit ihren Unterstützungsleistungen verstehen. Auch sie dienen dazu, Inklusion im Einzelfall praktikabel zu machen. Allerdings mag zweifelhaft sein, ob sie sich hinreichend konkretisieren lassen, um als durchsetzbarer Anspruch die Rechte des Kindes zu flankieren. Wenn Art. 24 Abs. 2 d die "notwendigen Unterstützung" am Ziel "erfolgreicher Bildung" ausrichtet, könnte dies zu offen erscheinen. Bedenkt man jedoch, dass gerade die UN-Behindertenrechtskonvention durch ihren Diversity-Ansatz erkennen lässt, dass alle Bildungsziele letztlich nur individuell definiert werden können, sprechen gute Gründe dafür, dass sich auch hier im Blick auf das einzelne Kind hinreichend klären lässt, was "notwendig" ist, um seinen individuellen Bildungserfolg abzusichern. Dagegen dürfte Abs. 2 d - "wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet" - allzu offen gefasst sein, um einen derartigen Anspruch zu rechtfertigen.

Im Ergebnis kann aber kein Zweifel bestehen, dass die Konvention den Konflikt zwischen der Erfüllung der Staatenpflichten und dem individuellen Recht des Kindes auf inklusiven Unterricht durch klare Ansprüche zugunsten der sofortigen Erfüllung des Rechts auf Teilhabe des Kindes entscheidet. Die erforderlichen Vorkehrungen müssen eben im Einzelfall getroffen werden, auch solange die Umstellung des System als Ganzes noch nicht erfolgt ist. Die landesweite Lehrerstellenarithmetik hat im Rahmen des Systems ihre Bedeutung; dem individuellen Anspruch kann sie nicht entgegengehalten werden. Im Übrigen dürfte so, wenn sich Klagen häufen, die Verwirklichung der Staatenverpflichtung, ein inklusives Bildungssystem zu schaffen und die damit verbundenen erheblichen organisatorischen und personellen Probleme zu lösen, entscheidende Schubkraft erhalten.

Die "verfügbaren Mittel" als Umsetzungshindernis?

Zu bedenken bleibt, ob die Bindung des Rechts auf Bildung an die "Ausschöpfung verfügbarer Mittel" die Ansprüche zum Erliegen bringen kann. Nur in der Theorie ist dies - teilweise - der Fall. In der Tat kann theoretisch darauf verwiesen werden, dass die verfügbaren Mittel (auch wenn man den üblichen Haushaltsvorbehalt nicht gelten lässt) begrenzt sein können. Dann müssen die Ansprüche aber immerhin zum Erfolg führen, wenn sie keine höheren Aufwendungen verursachen als sie in einer Förderschule entstehen würden. Im Übrigen aber bewirkt die von der Konvention getroffene Wertentscheidung zugunsten inklusiver Bildung, dass die praktische Verhinderung des gemeinsamen Unterrichts immer zugleich eine Diskriminierung darstellt, dass also ein allgemeines Menschenrecht im Sinne der bürgerlichen und politischen Rechte verletzt wird, bei denen die mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten verbundenen Einschränkungen nicht gelten.

Auf den Menschen kommt es an

So verschlungen die Wege auch sein mögen, im Ergebnis stellt sich heraus, dass die objektiv bestehende Pflicht der Länder, das gesamte Bildungssystem inklusiv zu gestalten, von der UN-Behindertenrechtskonvention bis zum subjektiven Recht des einzelnen Kindes verdichtet wird. Ganz im Sinne des Vorranggebots des Art. 7 Abs. 2 setzt sich dieses Recht auch durch, solange das System die notwendigen Änderungen noch nicht erfahren hat. Umso bedeutsamer sind dann die im Einzelfall zu gewährenden Hilfen.

Dieser Vorrang des Kindeswohls gilt - wie es schon Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention sagt - für jede zu treffende Einzelentscheidung. Das mag sich im Hinblick auf das Wohl anderer Kinder in der konkreten Situation auch als Begrenzung der Inklusionsmöglichkeiten auswirken können; im Grundsatz aber ist dies eine fundamentale Verstärkung des Rechts des einzelnen Kindes auf Inklusion, die auch verfahrensrechtlich als Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung durchgreift.

Die Erfahrung zeigt, dass dies letztlich im Streit um das Kindeswohl endet. Zwei Fragen sind hier zu stellen: Was ist das Kindeswohl? Und: Wer bestimmt das? Folgt man der englischen Fassung der Konventionen, trifft man auf den Begriff des "best interest". Daran ist ablesbar, dass die übliche Arbeitsdefinition, Kindeswohl sei die unter mehreren Alternativen die "am wenigsten schädliche", zu kurz greift. Es geht tatsächlich um ein Optimum, und zwar ausgerichtet nicht an irgendwelchen abstrakten Normen, sondern an der Individualität jedes einzelnen Kindes. Ein ganz anderer Punkt ist, wann der Staat aufgrund seines Wächteramtes nach Art. 6 Grundgesetz zum Schutz des Kindeswohl einzugreifen hat. In diesem Zusammenhang geht es in der Tat um einen engeren Kindeswohlbegriff. Der Staat ist erst - aber dann zwingend - zum Handeln aufgerufen, wo die Vernachlässigung des Kindeswohls zur Gefährdung des Kindes wird. Das staatliche Wächteramt dient unmittelbar der Verhütung von Verletzungen des Kindeswohls (BVerfGE 10, 59 [84]). Diese durchaus eingeschränkte Kompetenzzuweisung beruht auf der Antwort zu der zweiten Frage, nämlich, wer über das Kindeswohl bestimmt. Die Verfassungsrechtsprechung hat hier klare Linien gezogen und immer wieder das Primat der Eltern betont, weil niemand dem Kind so nahe stehe wie die eigenen Eltern, ihm dort in der Regel alles zuteil wird, was es für sein Wohl benötigt, und deshalb das Kindeswohl in aller Regel bei ihnen auch am besten aufgehoben sei (BVerfGE 52, 214 [217]).

Das wirft die grundsätzliche Frage auf, wie sich dies im Schulwesen verhält. Obwohl das Schulwesen in Deutschland nur unter der "Aufsicht" des Staates steht (Art. 7 Grundgesetz), werden der Schulverwaltung, wenn es um den Lernweg des Kindes geht, gewöhnlich erhebliche Bestimmungsrechte eingeräumt. Die UN-Behindertenrechtskonvention verlangt - wie es schon die UN-Kinderrechtskonvention hätte tun müssen -, diese Debatte neu aufzurollen. Gerade bei Kindern mit Behinderung ist offensichtlich, dass es abstrakte Lernwegentscheidungen nicht gibt, sondern damit immer tief greifende Lebensentscheidungen verbunden sind. Insoweit muss das Verhältnis von Elternrecht und Schule neu austariert werden. Jedenfalls aber bewirkt die Behindertenrechtskonvention, dass seitens der Schule die nicht selten prinzipiellen Vorbehalte gegen inklusives Lernen nicht aufrecht erhalten werden können - sie widersprechen der eindeutigen Wertentscheidung der Konvention, dass nur ein inklusives Bildungswesen diskriminierungsfrei ist.

Ob das Kind bzw. seine Eltern die gegebenen Rechte tatsächlich in Anspruch nehmen, ist ihnen überlassen. Solange sich dies nicht als Gefährdung des Kindeswohls darstellt, sind die Eltern sehr wohl berechtigt, einen Weg für ihr Kind auch außerhalb der "Regelschule" zu suchen. Dies steht andererseits nicht im Belieben der Eltern, denn als Elternverantwortung ist das Elternrecht ein "dienendes Recht", dessen Inhalt nicht am Elternwillen, sondern allein am Wohl des Kindes auszurichten ist (BVerfGE 24, 119 [143]). Es kann aber durchaus sein, dass der individuelle Lebens- und Lernweg eines Kindes die besondere Förderung in einer anderen Konstellation erfordert. So kann für manche Kinder allein der in einer inklusiv arbeitenden Klasse herrschende Geräuschpegel bei entsprechender Überempfindlichkeit zu einer unerträglichen, Angst machenden Beeinträchtigung führen. Da folgt es gerade aus dem Prinzip bestmöglicher Förderung, dass individuelle Lösungen gefunden werden müssen - wie bei allen anderen Kindern auch, nur dass sie hier anders aussehen.

Deshalb wird die Existenz von Förderschulen durch die Konvention auch nur insoweit in Frage gestellt, als der Dualismus von allgemeinen Schulen und Förderschulen als "System des Bildungswesens" konventionswidrig ist. Am Wohl des einzelnen Kindes orientiert, können besondere Einrichtungen ein unverzichtbares Angebot bleiben. Die Selbstverständlichkeit allerdings, mit der sie gewöhnlich für zuständig erklärt werden, ist rechtswidrig. Auf institutioneller Ebene hat die UN-Behindertenrechtskonvention klare Entscheidungen getroffen; im Einzelfall aber kommt es entscheidend nicht auf das System, sondern auf den Menschen an.

Rechtsstaatsdefizite offen legen

Es wird nicht leicht sein, diese Grundsätze im praktischen Leben durchzusetzen. Das fast nur noch in Deutschland herrschende viergliedrige Schulsystem hat gewichtige Fürsprecher. Insoweit ist hilfreich, dass die UN-Behindertenrechtskonvention Menschen mit Behinderung Rechtsansprüche zuweist und ihnen ausdrücklich Unterstützung bei der Rechtausübung und den Zugang zur Justiz zusichert.

Auf politischer Ebene ist der Widerstand nicht unerheblich. Immerhin verlautete in einer Pressemitteilung des Bayerischen Elternverbandes vom 25.02.2009 unter Berufung auf die Mittelbayerische Zeitung vom 21.02.2009, der bayerische Kultusminister Spaenle habe verkündet, "er werde sich mit aller Kraft gegen eine Aufgabe der Förderschulen zugunsten eines inklusiven Bildungssystems stemmen." Vielleicht führt es weiter, wenn allmählich ins Bewusstsein dringt, dass solcher Widerstand nicht nur die Menschen mit Behinderungen um die ihnen zustehende Förderung bringt; zugleich müssen wir offen legen, dass die Eingehung internationaler Verpflichtungen ohne die Bereitschaft zur gewissenhaften Umsetzung ein Defizit darstellt, das, wenn wir uns als Rechtsstaat ernst nehmen, nicht hingenommen werden darf.

Anmerkung

Schriftliche Fassung des Vortrags "Gibt es ein Recht auf eine Schule für alle?" vom 08.05.2009 auf der Tagung "Alle verschieden - mit gleichen Rechten und willkommen. Gemeinsame Bildung für Alle von Anfang an" des Vereins zur Förderung des gemeinsamen Lebens und Lernens von behinderten und nichtbehinderten Menschen in Saarbrücken.

Autor

Dr. Reinald Eichholz
National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland
c/o Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ
Mühlendamm 3
10178 Berlin